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Sophie Scholl

Sophie Scholl

Titel: Sophie Scholl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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wahrheiten zu finden, glaubwürdige übereinstimmungen.« Tatsächlich war Otl Aicher bei dieser Suche nicht allein, und hat er sein immenses Wissen und seine Widerstandskraft aus der Verbindung mit anderen Menschen geschöpft.
    Da war zuerst die Familie, in die er am 22. Mai 1922 in Ulm-Söflingen hineingeboren wurde, und damit zugleich in ein stabiles katholisches Milieu. Weder die Eltern noch die ältere Schwester oder der jüngere Bruder wurden je Mitglied in einer NS-Organisation. Der Vater, ein Facharbeiter, der sich mit eisernem Willen und Abendschul-Ausbildung 1932 als Heizungsbauer selbständig machte, war überzeugt, dass Hitler Krieg bedeutete. Söflingen, 1905 nach Ulm eingemeindet, war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts rein katholisch, über Jahrhunderte geprägt vom wohlhabenden Klarissenkloster, dessen Äbtissin bis zur Säkularisation 1803 eine machtvolle Herrschaft über rund 4000 Menschen im Ort und in der Umgebung ausübte und Sitz und Stimme im Reichstag hatte. Noch heute dominiert in Söflingen die ummauerte Klosteranlage mit pittoresken Gärten und Häuschen und der barocken Klosterkirche nebst Pfarrhaus und Pfarrgarten. Immer noch klappert die Klostermühle am Blaukanal.
    Als nach und nach Evangelische zuzogen, schloss sich das katholische Milieu noch enger zusammen. Das Katholisch-Sein prägte – im Gegensatz zur protestantischen Konfession – den Alltag, die Sonntage und das Lebensgefühl insgesamt. Otl Aicher ist darin aufgewachsen und sozialisiert worden: Gebete bei Tisch, der Gang zur Messe an allen Sonn- und Feiertagen, Mai-Andacht, Prozessionen, Messdienergruppen, Jugendgruppen und am Wahltag die Stimme für die katholische Zentrumspartei. Hinter allem stand die Überzeugung, einer Kirche anzugehören, die im Besitz der Wahrheit und weltweit war. Katholiken wollten gute Staatsbürger sein, aber einem wie Hitler, der Macht über den ganzen Menschen forderte, standen sie misstrauisch gegenüber. Wo das katholische Milieu intakt war, bekam die NSDAP bei den letzten freien Wahl 1932 und 1933 weniger Stimmen als in protestantischen Regionen.
    Manchmal kam der Pfarrer bei den Aichers vorbei. Franz Weiß war 1932 mit vierzig Jahren Stadtpfarrer von Söflingen geworden. Vier Jahre hatte er als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg an der Front gekämpft, mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Als Patriot und Katholik sah er in den Nationalsozialisten die Verderber von Staat und Religion, die es offen zu bekämpfen galt. Für den Ulmer NSDAP-Kreisleiter Eugen Maier wurde Pfarrer Weiß, der bei der Heldengedenkfeier den Hitler-Gruß verweigerte, zum »schärfsten Widersacher«, den er durch Hausdurchsuchungen und Provokationen zu zermürben suchte. 1936 entzog das Württembergische Kultusministerium dem unbequemen Geistlichen wegen Kritik an der Rassenpolitik die Erlaubnis zum Religionsunterricht.
    Im Frühjahr 1937 versuchte Pfarrer Weiß ein Priester-Netzwerk ehemaliger Frontkämpfer gegen den Nationalsozialismus aufzubauen. Auf eine getarnte Versammlung in Paderborn nahm er den vierzehnjährigen Otl Aicher im Auto mit. Die Priester dort begrüßten den Aufruf zum Widerstand mit starkem Beifall. Auch wenn die Kirche ihre anfängliche Zustimmung zu dieser Aktion wieder zurückzog, blieb der Beifall von Paderborn Otl Aicher ins Gedächtnis gebrannt: »mitten in der braunen flut standen wir auf einem felsen. dieses erlebnis erwies sich als unsinkbares floß. ich konnte, wenn es kritisch wurde, immer wieder darauf zurückspringen.« Für den jungen Aicher wurde Pfarrer Weiß zum Vorbild. (Am Pfarrhaus befindet sich ein steinernes Porträt-Relief, das Otl Aicher Jahrzehnte nach dem Krieg entworfen hat, dem »mutigen Prediger und aufrechten Kämpfer gegen die Diktatur des Dritten Reichs und die Unterdrückung der Religion«.)
    In der Söflinger katholischen Volksschule freundete sich Otl Aicher mit Fridolin – Frido – Kotz an; in der Pubertät kam als Dritter im Bund Willi – Grogo – Habermann hinzu, ebenfalls gut katholisch. Es gab nichts, was die Drei nicht gemeinsam erlebten: Skifahrten bei Nacht, Klettern auf höchste Bäume, Wanderungen durch dichte Wälder, Trampen, Experimente, wie lange man im Winter extreme Kälte, im Sommer extreme Hitze aushalten konnte, oder Meditationen über ein grasendes Pferd. Otl Aicher war der Ideengeber, der Motivator. »Mit Otl ist man immer bis zum Äußersten gegangen«, so das Fazit von Willi Habermann. Als Otl Aicher ab Herbst 1939 bei Familie

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