Sophie Scholl
gemacht haben. Zahlreich sind dafür die Quellen zum Jahresende. In der zweiten Jahreshälfte sind Hans Scholl und Otl Aicher sich näher gekommen, befördert durch die Besuche von Otl Aicher bei Carl Muth in München, wo er oft bei Hans Scholl übernachtete. Die gemeinsame Arbeit am »Windlicht« hat ab Oktober den Briefwechsel verstärkt. Am 3. Dezember fragt Hans Scholl bei Otl Aicher an: »Mich hat in den letzten Tagen ein bedeutendes Ereignis stark beschäftigt. Das Grabtuch von Turin. … Ob ich es wagen dürfte, im ›Windlicht‹ darüber zu schreiben?« Hans Scholl ist überzeugt, dass sich in diesem als Reliquie verehrten Tuch, durch die Fotografie sichtbar gemacht, das wahre Abbild Christi erhalten hat.
Mitte Dezember 1941 sendet Hans Scholl seinem guten Freund aus Ulmer Jungvolk-Tagen, Alfred Reichle, Weihnachtsgrüße: »Du wirst frohen Herzens Weihnachten feiern im Hinblick auf das Licht. … Je dunkler die Schatten, desto größer die Sehnsucht einzelner Menschen nach dem Licht.« Die »einzig helle Stelle« sei »Christus – Hintergrund, Wegweiser, Ziel ist er«. Am 21. Dezember erinnert Otl Aicher in einem Brief Hans Scholl an seinen neuen, starken Glauben: »O Hans, Du hast mir im Verborgenen viel Freude bereitet und ich bin gottfroh, dass wir uns gefunden haben. Du kannst Dir wohl kaum denken, wie dankbar ich dieses Weihnachten feiern kann. Ich hatte aber auch viel Angst um Dich gehabt, doch wohl gerade deshalb ist nun die Freude so groß.«
Als Hans Scholl den Brief erhält, sitzt er in Ulm und schreibt seine Weihnachtsgrüße an Carl Muth, in dessen Haus und Bibliothek in München-Solln er seit fast zwei Monaten täglicher Gast gewesen ist. Viele Stunden haben der alte, weise, fromme Professor und der Medizin-Student neben dem Ordnen der Bücher im Gespräch verbracht. Hans Scholl möchte »einige Wort des Dankes« an ihn richten, »die sich leichter schreiben als sagen lassen«: »Ich bin erfüllt von der Freude, zum ersten Mal in meinem Leben Weihnachten eigentlich und in klarer Überzeugung christlich zu feiern.« Die Spuren der Kindheit seien nicht verweht, nicht die Lichter und das strahlende Antlitz der Mutter. Aber er habe sich »in einer gehaltlosen Zeit in nutzlosen Bahnen« gequält, an deren Ende »immer dieselbe Leere« stand. Zwei »tiefe Erlebnisse« und der »grauenhafte Krieg« hätten ihn noch einsamer gemacht: »Eines Tages ist dann von irgendwoher die Lösung gefallen. Ich hörte den Namen des Herrn und vernahm ihn. In diese Zeit fällt meine erste Begegnung mit Ihnen. … Dann ist es wie Schuppen von meinen Augen gefallen. Ich bete. Ich spüre einen sicheren Hintergrund und ich sehe ein sicheres Ziel. Mir ist in diesem Jahr Christus neu geboren.« Hans Scholl ist ein Bekehrungserlebnis widerfahren, wie es – unter vielen Gläubigen quer durch die Jahrhunderte – auch Augustinus in seinen »Bekenntnissen« beschreibt.
Inge Scholl. Von einem solchen Spontan-Erlebnis kann seine Schwester Inge Scholl nicht erzählen. Doch ihr Eifer, Gott näher zu kommen – mit Gebeten und geistlicher Lektüre – ist unermüdlich, und sie fühlt sich auf einem guten Weg. Wenn sie Sophie Scholl – aber auch den Brüdern Hans und Werner – ausführlich über Gott, den Glauben und das Gebet schreibt und zu sie überzeugen sucht, steht dahinter eine persönliche Erfahrung.
Fritz Hartnagel. Er zählt nicht direkt zum Aicher-Scholl-Bund, ist jedoch von allen als Gleichgesinnter respektiert, obwohl er als Berufsoffizier in Hitlers Wehrmacht dient. Zu Weihnachten bekommt er das erste Exemplar vom »Windlicht«, nichts könnte besser demonstrieren, wie sehr Inge und Hans Scholl, aber auch Otl Aicher ihm vertrauen. Bei ihm kann Sophie Scholl, blickt sie auf das Jahr 1941 zurück, ebenfalls einen Durchbruch im Glauben feststellen, wenngleich einen unspektakulären. Fritz Hartnagels Glaube ist gewachsen durch Lektüre, hartes Bemühen und den festen Willen, über die Liebe zu Sophie Scholl zu Gott zu finden. Jeder Brief seit seiner Rückkehr von der Front in Russland nach Weimar zeugt von seiner fundierten und zugleich unkomplizierten Frömmigkeit.
Jetzt ist er es, der Sophie Scholl ermahnt: »Liest Du auch noch jeden Abend ein paar Seiten in ›unseren‹ Büchern, oder in der Bibel?« Die Bilanz seines Weges führt zu Gott und zu Sophie, »denn dass ich überhaupt begonnen habe nach der Wahrheit zu suchen, das verdanke ich Dir …« Daraus zieht er eine doppelte Wahrheit: »Drum sollte immer,
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