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Sophie Scholl

Sophie Scholl

Titel: Sophie Scholl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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sehnte Sophie Scholl sich danach, sich aussprechen zu können. Am 12. Dezember kam die Absage. Lisa Remppis hat einen neuen festen Freund, mit dem sie Weihnachten verbringt. Am gleichen Tag schreibt Sophie Scholl in ihr Tagebuch: »Der Brief, den ich heute von Lisa erhielt, hat mich den Tränen nahe gebracht.« Ihre Antwort an die Freundin, noch vom gleichen Tag, war gefasst, doch auf nüchterne Weise traurig. Zwar verstehe sie, dass es Wichtigeres gebe als ein Wiedersehen, das ihr, Sophie, dennoch sehr am Herzen liege: »Wie fern sind wir uns doch geworden … Denn im Wesentlichsten war es bis jetzt doch nur eine festgehaltene Freundschaft, die uns verband … Ich weiß nicht, ob Du an unserer Freundschaft ebenso zähe festhalten willst wie ich.« Lisa Remppis antwortet umgehend und signalisiert, wie sehr ihr an der Freundschaft mit Sophie Scholl liegt.
    Trotzdem war es für Sophie Scholl eine schmerzliche Erfahrung: Wieder war ein Stück Sicherheit bei den Menschen weggebrochen. Aber zugleich stellt sich die letzte Sicherheit, die Gewissheit eines liebenden Gottes, von der alle die Menschen, die ihr nahe waren, inzwischen ausgingen, bei Sophie Scholl nicht ein. Nach dem langen Brief, in dem Inge Scholl mit aller Macht versuchte, ihrer jüngeren Schwester das Beten und seine heilsame Wirkung nahe zu bringen, entwarf Sophie Scholl einen Antwortbrief. Sie könne ihre Sorgen und ihre Verzweiflung nicht einfach in Gottes Hand legen, bekannte sie: »… denn wenn ich beten will und überlege mir, zu wem ich bete, da könnte ich ganz verrückt werden, da werde ich dann so winzig klein, ich fürchte mich direkt … Überhaupt fühle ich mich so ohnmächtig, und bin es wohl auch. Ich kann um nichts anders beten, als um das Betenkönnen.« Es beginnt schon damit, dass sie wie mit Blindheit geschlagen sei, wenn sie Gott denke: »Ich habe keine, keine Ahnung von Gott, kein Verhältnis zu ihm. Nur eben, dass ich das weiß.« Und wiederum gilt: Es hilft nur das Beten. Sophie Scholl hat diesen Entwurf nicht abgeschickt.
    Vielleicht fühlte sie sich nicht wirklich verstanden mit ihrer existenziellen Verzweiflung. Sophie Scholl versuchte, sie auszuhalten – ohne wie Inge Scholl ständig Ausschau zu halten nach theologischen Begründungen. Sie verachtete dieses Vorgehen nicht, war wissbegierig. Aber dieses Wissen half ihr nicht aus ihrer Glaubens- und Gottes-Not, im Gegenteil. Sie machte die Erfahrung, dass vor Gott alles Wissen samt dem kritischen Verstand, auf den sie so stolz war, in die Irre führt. Die Tagebuchnotiz vom 12. Dezember beginnt mit dem 13. Psalm, den sie so liebt: »Gib Licht meinen Augen, oder ich entschlafe des Todes, und mein Feind könnte sagen, über den ward ich Herr.« Der Bitte an Gott folgt die Anforderung, die sie an sich selber stellt, unabhängig von ihrer Erfahrung: »Ich will mich an Ihn klammern, und wenn alles versinkt, so ist nur er, wie schrecklich, wenn er einem fern ist. … alles, was ich früher besaß, das kritische Sehen, ist mir verloren gegangen. Bloß meine Seele hat Hunger, o das will kein Buch mehr stillen.« Es waren Abgründe, in die Sophie Scholl blickte.
    Sophie Scholl kannte die Klagen des Propheten über einen abgewandten, unnahbaren Gott, und auch, welche Antwort Jeremia von höchster Stelle bekommen hat: »Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?« (Kapitel 23). Die dunkle Nacht der Gottesferne haben viele Menschen vor Sophie Scholl erlebt, manche haben es aufgeschrieben. Zu ihnen gehört Martin Luther, der Reformator, der bei seiner Suche nach einem gnädigen Gott ähnliche Erfahrungen machte und dies auch preisgibt: »Ich selbst habe es mehr als einmal bis in die Tiefe und den Abgrund der Verzweiflung wahrgenommen. … Der Mensch ist ein Abgrund, ungesichert alles, woran wir uns halten. … Da bleibt nichts anderes als der nackte Schrei nach Hilfe, ein schreckliches Seufzen, das nicht weiß, wo Hilfe zu finden ist.« Das ist die schlimmste aller Erfahrungen: »Gott ist da, aber er zeigt sich nicht.« Der ferne, der verborgene Gott wurde zur Grundlage von Luthers Glauben und Luthers Theologie. Weil Angst, Schrecken und Traurigkeit den Mönch in Wittenberg nicht davon abhielten, mit Gott zu ringen, machte er schließlich die gleiche Erfahrung wie der Prophet. Auch diese tröstliche Zusage Gottes wird Sophie Scholl bei Jeremia gelesen haben: »Denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden

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