Sophie Scholl
Sechsstern aus gelbem Stoff mit der schwarzen Aufschrift ›Jude‹. Er ist sichtbar auf der linken Brustseite des Kleidungsstücks fest aufgenäht zu tragen.« In München notierte am gleichen Tag der mit Carl Muth befreundete Schriftsteller Theodor Haecker, von den Nationalsozialisten mit Schreib- und Publikationsverbot belegt, in sein Tagebuch, ab dem 19. September müsse jeder Jude einen gelben Stern, »den Stern Davids, des großen Königs, aus dessen Geschlecht der Menschensohn, Jesus Christus, die zweite Person der Trinität, dem Fleische nach geboren ist, tragen. Es könnte die Zeit kommen, dass die Deutschen im Ausland auf der linken Seite ihrer äußeren Kleidung ein Hakenkreuz, also das Zeichen des Antichrist, tragen müssen.«
Doch was die Machthaber mit dieser Diskriminierung bezweckten, – die totale Isolierung der Juden innerhalb der Bevölkerung – trat wieder nicht ein. Die nichtjüdische Bevölkerung reagierte in weiten Teilen negativ und zeigte ihre Solidarität mit den Juden in aller Öffentlichkeit durch unerwartet zahlreiche Gesten. Eine spürbare Einschüchterung der Bevölkerung erreichte erst Joseph Goebbels mit seinem Artikel im »Reich« am 16. November, vielfach nachgedruckt und im Radio verbreitet. Am Ende des Artikels wird indirekt ein Kontaktverbot mit Juden ausgesprochen, dessen Übertretung mit KZ-Haft bis zu drei Monaten bestraft würde. »Die Juden sind schuld am Kriege … Jeder Jude ist ein geschworener Feind des deutschen Volkes … Wer mit ihm noch privaten Umgang pflegt, gehört zu ihm« – und wird auch so behandelt. Damit galt auch die kleinste Geste der Solidarität als Kriegssabotage. Auf eine diffuse, kaum fassbare und gerade deshalb bedrohliche Weise wurde jeder Deutsche in den Völkermord an den Juden mit hineingezogen.
Hinter den Kulissen verknüpfte sich in diesen Wochen endgültig der Vernichtungskrieg im Osten mit der Vernichtung der europäischen Juden. Schon der Beginn des Russland-Feldzuges am 22. Juni 1941 hatte im Zeichen der Vernichtung der Juden gestanden. Dem Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjetunion folgten vier Einsatzgruppen der SS. Die Zusammenarbeit war genau geregelt, klappte reibungslos und reichte bis zur aktiven Teilnahme der Soldaten an den Mordaktionen. Allein das Einsatzkommando 3 ermordete in den überfallenen Gebieten bis September insgesamt 56 459 Juden, davon 26 243 Frauen und 15 112 Kinder.
Mitte September stimmte Hitler in einem Gespräch mit Heinrich Himmler, von Joseph Goebbels tatkräftig unterstützt, der Deportation deutscher, österreichischer und tschechischer Juden nach Osten zu. »Abtransport« lautete die Sprachregelung. Als bald die Stimmung in der Bevölkerung sank, weil die Armee in den Weiten Russlands im Stellungskrieg stecken blieb, kam die »Judenfrage« gerade recht, um von den Problemen des Feldzuges abzulenken und ein neues »Schlachtfeld« zu eröffnen. Ab 15. Oktober 1941 wurden gut 17 000 Berliner Juden – von insgesamt noch 67 000 – gezwungen, alles hinter sich zu lassen und die Züge »zur Ansiedlung im Osten« zu besteigen. Die systematische, organisierte Deportation der Juden aus dem Reich hatte begonnen.
Aus dem Zusammenhang zwischen Deportation und Wohnungsnot aufgrund der Luftangriffe machte der Oberfinanzpräsident von Köln kein Geheimnis. Die »Aussiedlung der Juden« habe in seinem Bezirk am 21. Oktober begonnen, »zwecks Freimachung von Wohnungen für Fliegergeschädigte in den Städten Köln und Trier«. Er verfügte anschließend, dass auch »der Hausrat der ausgesiedelten Juden … in erster Linie den Fliegergeschädigten zugute« kommen sollte.
»Im Rahmen der gesamteuropäischen Entjudung gehen zur Zeit laufend Eisenbahntransporte mit je 1000 Juden aus dem Altreich, der Ostmark und dem Protektorat Böhmen und Mähren nach dem Reichskommissariat Ostland. Württemberg und Hohenzollern ist daran zunächst mit einem Transport von 1000 Juden beteiligt, der am 1. 12. 1941 von Stuttgart abgeht. … Der für die Beförderung der Juden vorgesehene Eisenbahnzug fährt fahrplanmäßig am 1. Dezember 1941 zwischen 8 und 9 Uhr von Stuttgart ab.« Es sind diese Gestapo-Richtlinien vom 18. November 1941, die der Schwägerin von Eugen Grimminger und ihren Kindern zum Verhängnis wurden. Und auch 20 Ulmer Juden von den 116, die noch in der alten Reichsstadt leben, 8 Männern und 12 Frauen, bringen sie einen schrecklichen Tod. Am 28. November müssen sie sich am frühen Morgen im Ulmer Schwörhaus
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