Sophie Scholl
wenn wir in Liebe vereinigt sind, Gott gegenwärtig sein, und wo wahre Liebe ist, ist er es auch.« Fritz Hartnagel hat einen Glauben gefunden, der ihn froh macht: »Solange ich Gott treu bleibe, muss ich auch Dir treu bleiben. Ach Sofie, welch beglückende Kraft ist das, die von nichts anderem abhängt als von Gott!« Widerstreitende Gefühle müssen seine Briefe bei Sophie Scholl ausgelöst haben. Zum einen Stolz, denn schließlich hat ihr Konzept, Härte zu zeigen, Erfolg gehabt; außerdem Freude, dass Fritz Hartnagel, der bald wieder an der Front dem Tod ausgesetzt sein wird, über den Glauben so viel Zuversicht gewonnen hat. Aber auch Schuld und Versagen drücken sie. Sie ist hin und her gerissen zwischen ihrer Liebe, ihrer schmerzlichen Lust an Provokationen und den Zweifeln, ob nicht doch der »Geist alles Geschlechtliche« besiegen soll und die körperliche Vereinigung ein Hindernis auf dem Weg zu Gott ist.
Sophie Scholls Tagebuch während der Monate in Blumberg ist nicht durchgehend und ordentlich mit Datum geführt. Es gibt einzelne Zettel, lose Blätter, die sie mit »Sofie« unterschrieben hat, als wollte sie die Bedeutung dieser Eintragung hervorheben. Eine geht von einer nächtlichen Begegnung zwischen ihr und Fritz Hartnagel aus: »Daran will ich denken, wie er, eine Stufe unter mir, nachts im Treppenhaus in meine Hände geweint hat, wie etwas in ihm zerbrochen ist und er vor Jammer laut geschluchzt hat. Daran will ich denken, wie lieb er mich hat, wie er sich stumm gewunden hat unter meinen tausend teuflischen Einfällen, die alle ersonnen wurden, ihn zu quälen, meine Macht über ihn zu fühlen, meine Stärke, um nachher umso süßer meine Schwachheit auszukosten. Ich habe ihn umarmt, er aber hat mich geliebt …« Sie hat versagt, in mancher Beziehung, und definiert aufs Neue ihr Ziel: »Könnte ich abstreifen, was mich noch so befangen macht, was meine Lust erregt, was mir überflüssige Unruhe schafft.« Dies sagt die gelehrige Schülerin des Kirchenvaters Augustinus, für den allein der totale Verzicht auf »Begierde«, auf körperliche Lust, zur Ruhe führt, die letztlich in Gott ihren Fixpunkt findet.
Dann geht die Eintragung weiter mit dem Text, der bisher ausschließlich publiziert wurde: »Da verliert sich das Herz in dieser kleinen Unruhe und vergisst seinen großen Heimweg. Unvorbereitet, an nichtige niedrige Spielereien hingegeben, könnte es von seiner Stunde überrascht werden, um kleiner Freuden willen die eine große verkauft haben. Ich erkenne es, mein Herz erkennt es nicht.« Es ist eine Meditation über das Herz, die Sophie Scholl ausbreitet und die zu der Erkenntnis führt: »Mir bleibt die Traurigkeit, die Unfähigkeit und Ohnmacht, und eine geringe Hoffnung.« Um dann in ein Gebet überzugehen: »O, Und wenn mein Herz tausendmal an den Schätzen hängt, und sei es bloß die Liebe zum süßen Leben, reiß mich los, gegen meinen Willen, denn ich bin zu schwach, es zu tun, vergälle mir alle Freuden, lass mich elend sein und Schmerzen fühlen, bevor ich meine Seligkeit verträume.« Auch Sophie Scholl wird gebeutelt vom uralten Dualismus zwischen Geist und Fleisch, Leib und Seele, Verstand und Herz.
Zu Beginn ihrer Blumberg-Eintragungen hatte Sophie Scholl sich von Gott ein Zeichen gewünscht und auf den Propheten Jeremia verwiesen, der Ähnliches von Gott forderte. Gut möglich, dass der Prophet des Alten Testamentes – neben dem »unruhigen Herzen«, von dem Augustinus spricht – der Bibelleserin auch Anstoß gegeben hat zu ihrer Herz-Meditation. »Es ist das Herz ein trotzig und verzagt Ding; wer kann es ergründen«, heißt es bei Jeremia im 17. Kapitel. Das Thema lässt Sophie Scholl nicht los. Am 12. Dezember 1941 schreibt sie an Lisa Remppis: »Vielleicht ist es gut, wenn wir ganz arm werden, um für einen weniger vergänglichen Reichtum bereiter zu werden. Denn sucht man nicht, da einem soviel genommen wird, noch Ersatz? Und merkt dann, dass man sich durch zuviel zerstreuen ließ und sein Herz an unwürdige Dinge hängte. Vielleicht muss man erst entdecken, dass man ein Herz hat. Das ist seltsam.« Sein Herz zu entdecken, bedeutet, sich zu seinen Gefühlen zu bekennen. Eine Kehrtwendung für Sophie Scholl, deren Warnung vor Gefühlen – für sich und andere – mit den Jahren immer stärker geworden war.
Mitte November hatte sie Lisa geschrieben, »ich freue mich so sehr, bis Du mich einmal besuchst«. Für Weihnachten wurde ein Wiedersehen verabredet, immer heftiger
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