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Sophie Scholl

Sophie Scholl

Titel: Sophie Scholl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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den Schnee um die Mauern, aber die drinnen kann das nicht schrecken. Am 28. Dezember 1941 haben Hans, Inge und Sophie Scholl mit den Münchner Studentinnen Traute Lafrenz und Ulla Claudius – beides Freundinnen von Hans Scholl – und Wulfried, dem Enkel von Carl Muth, im Schneetreiben den Aufstieg zur Hütte geschafft, nachdem sie tags zuvor umkehren mussten. Seitdem üben sie tagsüber mit den Skiern am Hang, wenn der Sturm es zulässt, und am Abend, wenn die nassen Ski-Sachen an der Stange über dem Herd hängen, und das Abendessen hinter ihnen liegt, rücken sie eng zusammen. Zuerst ein Lied, das den harmonischen Gleichklang der Versammelten noch verstärkt, dann folgt die Lektüre. Dostojewski, der russische Mystiker und Christussucher, stand schon lange in der Scholl-Bibliothek, diesmal war »Der Doppelgänger« an der Reihe. Am Silvester-Abend wird Novalis vorgelesen, »Hymnen an die Nacht«. Traute Lafrenz nennt in ihrem Hütten-Bericht für das »Windlicht« das Werk des Romantikers ein »jubelndes Bekenntnis eines großen Christen«.
    Auf Vorschlag von Inge Scholl hatten sie zudem den Briefwechsel zweier Franzosen mitgenommen, beide eng mit der Bewegung des Renouveau Catholique verbunden. Der Dramatiker Paul Claudel, geboren 1868, hatte zwischen 1907 und 1914 mit dem zwanzig Jahre jüngeren Publizisten Jacques Rivière korrespondiert. »Ich will die Antwort«, hieß der Titel des 1928 auf Deutsch erschienenen Dialogs. Die Suche nach einer Antwort, bei der der Jüngere den Älteren um Hilfe bat, endete 1913 mit dem Übertritt des protestantischen Rivière zum Katholizismus. Nach der Rückkehr schreibt Inge Scholl am 2. Januar 1942 an Otl Aicher, dass »Hans, Sofie und Traute« von diesem Buch sehr beeindruckt waren. Traute sei zeitweilig vor die Hütte gegangen und habe heftig geweint.
    An einem Abend entzündete sich im Schein der Kerzen eine Diskussion an der Frage, ob der Mensch seinen geistigen Hunger aus sich selbst heraus stillen könne – vielleicht aus dem Reservoir der Musik, der Dichtung, der Kunst. In ihrem Brief an Otl Aicher berichtet Inge Scholl, dass ihr Bruder Hans – »zu meiner Freude« – dem entschieden widersprochen habe: »Die Kunst kann niemals diesen Hunger stillen!« In Bezug auf den russischen Dichter Gogol habe er gesagt: »Was ist das schon? Schön geschrieben, das ist alles. Aber darauf können wir verzichten.« Alles, was aus dem Menschen komme, könne nur hinweisen »auf das Brot«. Die Stimmen der Dichter, die die Scholl-Geschwister für die langen Hütten-Abende ausgesucht hatten, wiesen die Richtung. Die »himmlische Freiheit, die selige Rückkehr«, die »Befreiung in ewiger Nacht«, von der die Hymnen des Novalis jubeln, haben nur ein Ziel: »Unverbrennlich steht das Kreuz – eine Siegesfahne unsers Geschlechts.« Auf diese Ausrichtung ihrer gemeinsamen Tage – fern vom Getriebe der Welt – verwies Hans Scholl seine Schwester Liesl am 6. Januar 1942. Sie hatte nicht mitkommen können. Deshalb schreibt er ihr über das Ski-Lager, das nicht das erste der Scholl-Geschwister an einer Jahreswende war. Der Brief von Hans Scholl schließt: »Nur eines unterscheidet dieses Zusammensein gründlich von früheren. Die Hinrichtung auf die Not der Zeit, das Kreuz und die Erlösung.« Die Not der Zeit: Das Suchen und Beten geschah nicht im religiösen Elfenbeinturm. Es war auch in der Stille der Berge untrennbar mit der Welt, mit den Ereignissen, die um sie herum geschahen und die sie teilweise sehr persönlich betrafen, verbunden.
    Alle Scholl-Geschwister fühlten sich verpflichtet, über den Tag hinaus zu sehen und sich auf den Weg zu machen. Das klingt auch in den Glückwünschen an, die Hans Scholl zum 23. Geburtstag Ende Februar an Liesl richtet. Als Ziel gibt er vor: »Je höher wir steigen, desto tiefer die Abgründe, und beides, die Höhen und Tiefen des Geistes umspannen unser Menschsein. Wer den Abgrund nicht sieht, fällt hinein; wem aber kein Licht leuchtet, der sucht vergeblich und seine ermüdeten Augen dienen ihm nutzlos. Das Licht zu finden auf unserem Wege ist jetzt unsere Aufgabe.« Das Licht ist die Wahrheit inmitten einer Welt voller Lüge.
    Sophie Scholl hatte noch ein paar Tage Urlaub am Jahresbeginn. Während Inge Scholl am 1. Januar 1942 direkt nach Ulm zurückkehrte, fuhr sie mit den übrigen »Münchnern« in die Stadt an der Isar, nach Solln. Sophie Scholl war Gast von Carl Muth, dem sie nun erstmals persönlich begegnete. Am 2. Januar 1942 schickte

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