Sophie Scholl
werden viel, sehr viel Nutzen haben aus dieser Begegnung … Solche wahrhaftigen Leute tun dem Christentum gut, vollends, da es jetzt wieder seine Stunde hat.« Dann führt Otl Aicher aus, das Christentum sei für die Scholl-Geschwister lange Nebensache gewesen, habe sie eher befremdet. Das ist anders geworden, aber es würden »noch manche Tage vergehen, bis der Glaube und die Liebe völlig ihr Herz ergriffen« hätten. Damit es dazu kommt, verspricht der Neunzehnjährige seinen ganzen Einsatz und bittet Carl Muth, der ihm seit der ersten Begegnung im Frühjahr ein väterlicher Freund geworden ist, den »lauteren Seelen« auf diesem Weg zu helfen.
Dann erläutert Otl Aicher nicht ohne Stolz seine eigene Rolle bei der Hinwendung der protestantischen Scholl-Geschwister zu Gott und dass es nicht allein um Gott geht: »Ich habe lange um diese Leute gerungen und zwar anfänglich fast gegen einen Widerwillen, und Inge hat mir erst neulich zugestanden, sie vermutete früher hinter meinem Kommen immer den Versuch, sie zur Konversion zu treiben. Und im letzten Grund hatte sie auch recht und sie weiß auch nur zu gut, dass sie einmal diesen Schritt zu gehen hat, aber ich habe von diesen Dingen nie gesprochen …« Das waren offene Worte – Konversion zum Katholizismus ist das Ziel.
Carl Muth erfährt, dass Inge Scholl Otl Aicher ihre »sehr große Angst vor kommenden Entscheidungen« anvertraut und wie er sie beschwichtigt hat, »dass es zum großen Teil nur die äußere Tradition ist, die die Katholiken über die Protestanten erhebt«. Genau genommen ist es eine Notlüge, denn Otl Aicher macht gegenüber Muth kein Geheimnis daraus, dass er dies gegenüber Inge Scholl nur angeführt habe, »um eine Konversion hinauszuschieben, bis die Idee der Kirche in ihr so sehr Gestalt gewonnen hat, dass sie freiwillig und in Freude diesen Schlussschritt gehen wird«.
Der Übertritt von Inge Scholl zum Katholizismus ist für Otl Aicher nur eine Zwischenetappe seiner Mission. Carl Muth soll mithelfen, das Endziel zu erreichen: »Und dass diese Gestalt in all ihnen gewinne, bitte ich Sie, helfen Sie, nicht um meinetwillen, sondern allein, damit ihre Seelen auch einmal die Freude des Friedens besitzen.« Die Idee der Kirche soll in allen Scholl-Geschwistern Gestalt annehmen. Um es deutlich zu sagen: Geht es nach Otl Aicher, sollen Inge und Hans, Sophie und Liesl und Werner Scholl eines Tages zum Katholizismus übertreten, denn für den Katholiken Aicher verkörpert sich die Idee der Kirche nur in der römisch-katholischen Institution. Die Idee des Neunzehnjährigen, dass der Vierundsiebzigjährige dabei mithelfen kann, ist plausibel und gut begründet. Muth brauche sich nicht sehr anzustrengen, um die Freunde zu beeinflussen – »ob der gewaltigen Fülle Ihres Lebens und Ihrer getanen Arbeit«. Otl Aicher wirbt am Jahresende 1941 mit Eifer für seine Idee: »Allein Ihr Name, wenn er hinter einer vertrauenden Anteilnahme steht, ist für sie eine hilfreiche Stütze.«
Carl Muth ist kein Eiferer für seinen Glauben, dafür ist er viel zu gebildet. Die römische Kirche hat ihm als Herausgeber des »Hochland«, das für einen reformfreudigen Katholizismus stand, viele Schwierigkeiten gemacht. Das hat Carl Muth ausgehalten. Doch es änderte nichts an seiner Überzeugung, als Katholik im wahren Glauben und in der einzig wahren Kirche zu leben und diesen Glauben den Menschen zu wünschen, die er schätzte.
Sophie Scholl kannte Carl Muth bisher nur vom Hörensagen durch ihre Geschwister und Otl Aicher. Das allein reichte, um ihn zu einer Autorität zu machen. Und ein kleiner Brief kam hinzu. Den hatte Muth ihr geschrieben, als Sophie Scholl im Herbst in Krauchenwies eine Kiste Äpfel für ihn organisiert hatte. »Ich staune«, schreibt sie ins Tagebuch, »dass er die Zeit und Liebe fand, sich auch mir zuzuwenden … Er muss ein sehr gütiges Herz haben, dass solche kleinen Menschen, die ihn nur durch ein ganz äußerliches Geschäft berühren, Platz darin finden. Dies kann ich gar nicht genug schätzen, das allein verpflichtet mich schon, gut zu werden.«
KRIEGSHILFSDIENST (2) – IM ZEICHEN DES KREUZES
Januar bis März 1942
Nach den Weihnachtstagen mit der Familie und dem großen geschmückten Weihnachtsbaum beginnt für Sophie Scholl das neue Jahr in der Gemeinschaft der Geschwister und Gleichgesinnten um einen Herd, in dem das Holz lodert und kracht, in der Coburger Hütte auf fast 2000 Meter im Zugspitzgebiet. Draußen treibt der Wind
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