Sophie Scholl
anderen Menschen« und empfinde es als »überwältigend, dass wir so lieb und innig beisammen sein können«. Doch schon am 15. Januar zitiert er aus dem Brief des Apostels Paulus an seinen Freund Timotheus, dass »alles Geschöpf Gottes gut und nichts verwerflich ist, was mit Danksagung empfangen wird«. Liebevoll und geduldig antwortet Fritz Hartnagel auf Sophie Scholls Bedenken und Empfindungen und versucht, sie zu überzeugen: »Kannst Du so nicht auch meine Umarmung empfangen, ohne dass sie Dich von Gott trennt, sondern vielleicht sogar zu ihm hinführt?« Wieder fällt auf, dass es nicht um Vorwürfe von Seiten Sophie Scholls geht. Fritz Hartnagel schließt: »Suche und bete mit mir um den richtigen Weg zwischen uns. Liebend Dein Fritz.« Am 19. Februar freut sich Fritz Hartnagel über ein unerwartetes Telegramm von Sophie Scholl: »Habe Sonntag frei!« Er hofft nur, dass es mit den Zugverbindungen nach Donaueschingen klappt, wo er nach Blumberg umsteigen muss.
Es fällt auf in Ulm, dass Sophie nicht mehr so oft nach Hause kommt und wenn, nur kurz. Niemand macht ihr offene Vorwürfe. Doch ein wenig tadelnd klingt es im Brief der Mutter, die sich Ende Januar Sorgen macht: »Meine liebe Sofie! Vielleicht bist Du, seit Du wieder in Blumberg bist, durch die verschiedenen Bahnfahrten und eiligen Besuche daheim, die so wie so selten sind, körperlich und seelisch etwas müde!« Es komme ihr fast vor, »als ob Deine Jugend solch rasche Reisen nicht vertrüge, und eine Art Unruhe in Dir schaffen, besonders, wenn man, wie Du, beides ein wenig hinausziehen und genießen möchte«. Zugleich schreibt sie selbstkritisch, »dass die Mutter nicht alles tadellos vorbereitet hat«. Lina Scholl, die im Mai 1942 einundsechzig Jahre alt wird, möchte »gerne wieder von vorne anfangen«, gesteht sie ihrer jüngsten Tochter, »nicht nur im Haushalt von A bis Z, sondern auch im Gehorsam der innern Stimme, des Rufes von Gott, das ist ja schließlich der Anfang aller Dinge«. Was am Briefanfang etwas kleinlich klingt, entpuppt sich als der Versuch, Sophie Scholl Trost in ihrer schwer erträglichen Blumberger Situation zuzusprechen.
Für die ehemalige Diakonisse ist es »ein großes Wunder, dass Gott uns führt und sorgt, dass das Leben jedes einzelnen Menschen einen Sinn hat und seine Linie in der Welt gezeichnet ist«. Sie fügt ohne Wenn und Aber hinzu: »Von Gott aus ›gut‹.« Naiv ist Lina Scholl nicht in ihrem Glauben, sie weiß, »da ist der große Gegenspieler Gottes, der in solch ein feines Netz seine Unordnung bringen möchte«. Aber er kommt nicht weit, denn Gott und Menschen reichen sich die Hand »zu unserm Heiland … Wieviel bringt seine große Liebe in Ordnung und wie gleich viel vergibt er«. Damit ist die Mutter am Ziel ihres Briefes angelangt: »Schließlich ist auch Dein Aufenthalt in Blumberg kein blinder Zufall oder Tücke der Menschen, weil ja Gott auch Dein Leben führen will und vielleicht diese Station eingezeichnet hat.« Lina Scholl kennt die zweifelnden Fragen, die Sophie Scholl an Gott und seine Gerechtigkeit stellt. Dieser Brief ist wie die Zusammenfassung ihrer Antworten. Noch einmal geht sie auf den Arbeitsdienst ein, der Sophie ein Jahr ihres Lebens kostete. Argumentierend versucht sie, die Tochter im überkommenen Glauben zu halten: »Selbst wenn jeder vernünftige Mensch sagt, es ist verlorene Zeit. Wo kämen wir hin, wenn wir so rechnen würden, was müssten da die denken, die lange krank sind und dabei jung.« Sophie soll die »Gemeinschaft der Liebe und Freundschaft«, die »Ihr Jungen untereinander und miteinander habt«, als großes Glück ihrer Jugend sehen.
Einen »großen und verwunderlichen Brief« habe sie geschrieben, bekennt die Mutter am Schluss. Sie nimmt die Anfragen ihrer Tochter an ihren Glauben ernst, aber sie will das Gespräch nicht darauf einengen. Glaube und Welt gehören für Lina Scholl zusammen. Eine Woche später gibt sie wieder einmal die väterlichen Auskünfte über das politische »Barometer« an Sophie weiter: »Die Politik geht auf und ab, soll ich Dir ausrichten. Die Soldaten haben durch die Kälte viel zu leiden, es gibt viele Erfrierungen. Vielleicht ist dies Jahr für manche ein Jahr der Entscheidungen, man sieht nicht durch und ist dazu machtlos.« Fast hatten die Deutschen sich an diesen Feldzug gewöhnt, auch wenn er ganz anders ablief als die vorangegangenen. Die Briefe der Soldaten von der russischen Front nach Hause klangen ernüchternd. Und mit der
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