Sophie Scholl
Gemeindepfarrer, deshalb unter seinen geistlichen Brüdern nicht sonderlich beliebt. Der Nationalsozialismus war für Max Schwarz eine anti-christliche Ideologie, die Einteilung der Menschen in »Rassen minderen Wertes« unvereinbar mit dem Christentum. Er hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg, blieb jedoch erstaunlicherweise von den Machthabern unbehelligt. Die beiden Scholl-Besucher beeindruckte er nachhaltig. Am 25. Juni besuchten sie ihn wieder. Briefliche Kontakte wurden geknüpft.
Mittwoch, 3. Juni – Sophie und Hans Scholl sind erstmals zu einer literarischen Abendgesellschaft bei Professor Viktor Mertens, Mediziner, und seiner Frau Dr. Gertrud Mertens, Sängerin und Pianistin, eingeladen. Ebenfalls seine erste Einladung hatte Professor Kurt Huber erhalten, der an der Münchner Universität Vorlesungen und Seminare für Philosophie, Musikpsychologie und Volksliedkunde anbot, die fakultätsübergreifend Studenten anzogen. Huber bot kritische Wissenschaft, keine nationalsozialistischen Phrasen. Er sprach frei, mit Witz und Ironie, manchmal jenseits des Erlaubten. Er hatte keine Hemmungen, den jüdischen Philosophen Spinoza positiv zu zitieren, machte höchstens die Anmerkung: »Er ist Jude, Vorsicht, dass man sich nicht vergiftet«.
Im Mittelpunkt des Abends bei Mertens stand ein religiöser Text, doch die anschließende Diskussion geriet bald auf politisches Terrain. Vielleicht trug dazu bei, dass in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1942 das alte Köln durch einen Großangriff der britischen Luftwaffe ausgelöscht worden war. Fast 500 Menschen starben im brennenden Inferno, über 1000 wurden verletzt, rund 3300 Häuser wurden zerstört. In München waren sich die Eingeladenen über die »Zerstörung der inneren Werte« schnell einig. Aber was dagegen tun? Eine verfängliche Frage, auf die Hans Scholl mit Ironie parierte: »Wir mieten uns eine Insel in der Ägäis und machen weltanschauliche Kurse.« Die Provokation belebte den Gedankenaustausch. Ob man nicht jetzt äußeren Widerstand leisten könne? Nein, das sei sinnlos, man müsse sich auf »geistige Gegenwehr« beschränken, meinten die einen. Professor Huber entgegnete mit erregter Stimme, man müsse etwas tun, »und zwar heute noch«. Hans Scholl stimmte ihm unverhohlen zu. Seit diesem Abend saßen auch Sophie und Hans Scholl in Professor Hubers überfüllten Lesung über »Leibniz und seine Zeit«. Manchmal gingen sie anschließend zu ihm ans Pult, und man unterhielt sich etwas.
Donnerstag, 4. Juni – Hans Scholl hat etwa zwanzig Personen zu einem Abend mit Sigismund von Radecki in das Atelier des Architekten Eickemeyer im hinteren Gartenteil des Grundstückes Leopoldstraße 38 eingeladen. Eickemeyer ist selten anwesend, da die meiste Zeit des Jahres in Polen. Nach seiner Bekanntschaft mit Hans Scholl vertraute er ihm die Schlüssel an zur beliebigen Nutzung. Radecki las Essays, Gedichte, Übersetzungen. »Er spielt alles, was er liest«, schrieb Sophie Scholl zwei Tage später den Eltern. »Was haben wir gelacht! … Nachher waren wir noch zu fünft mit ihm auf meinem Zimmer. Leider fährt er für drei Monate weg, nachher aber ist er bereit, allerhand mit uns zu machen.« Dem Medizinstudenten Hans Scholl gingen die Ideen nicht aus, Menschen zusammenzubringen, die auf ein anderes Deutschland hofften und sich Gedanken machten, wie das aussehen könnte.
Dienstag, 23. Juni – Nicht dass es in den Tagen seit dem 4. Juni keine Termine gegeben hätte – Besuche bei Muth, ein Konzert in Schloss Schleißheim und mehr. Doch die abendliche Gesellschaft in der Villa von Dr. Schmorell, dem Vater von Hans Scholls gutem Freund Alexander – meist Schurik genannt –, gehört zu den monatlichen Fixpunkten des Semesters. Für Hans Scholl schon seit über einem Jahr, für Sophie Scholl, seit sie im Mai nach München gekommen ist. Seit dem Februar 1942 wird bei Schmorells in der Benediktenwandstraße 12 in München-Harlaching »Der seidene Schuh« des französischen Schriftstellers Paul Claudel mit verteilten Rollen gelesen. Im Hause Schmorell lernte Hans Scholl Christoph – Christl – Probst kennen. Der vierundzwanzigjährige Probst, ebenfalls Medizinstudent in München, ist verheiratet, hat eine Frau und zwei Kinder und lebt in Lermoos bei Garmisch.
Sophie Scholls Ruhepunkt ist ihr winziges Zimmer in der Mandlstraße am Englischen Garten. Als eine schlauchartige Fortsetzung des Flurs hat Inge Scholl es beschrieben. Darin stehen ein Schrank, ein
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