Sophie Scholl
schenken« – deutet an, was Sophie Scholl beklagt hat. Es folgt sein Vorschlag, sie solle für ein paar Tage wegfahren und »die Einsamkeit suchen«, die ihr mangelt, weil es wichtiger sei, »festen Grund zu finden«, als »irgendein Wissen« in sich einzupfropfen. Übrigens macht sich Fritz Hartnagel in Frankreich sofort wieder ans Einkaufen. Er hat von Sophie Scholl Aufträge für Schuhe und Stoff und beklagt, dass es erstere nur in kleinen Nummern gibt, und letzterer sei »meist ganz miserables Zeug«. Er will versuchen, in Paris Besseres zu bekommen. Sein größter Wunsch: sie noch einmal »2 oder 3 Tage« zu treffen. Und tatsächlich geht sein Wunsch in Erfüllung.
Drei Monate später, am 21. August, wird Fritz Hartnagel aus seinem Quartier tief in Russland, nahe beim Fluss Don, an Sophie Scholl schreiben: »Gestern war es ein viertel Jahr, dass wir in München voneinander Abschied nahmen.« Ungefähr vom 16. bis zum 20. Mai 1942 hatten Sophie Scholl und Fritz Hartnagel in München noch einmal Zeit füreinander. Während sich seine Kompanie langsam auf den Weg von Frankreich nach Russland machte, konnte sich Fritz Hartnagel einen Abstecher in die Stadt an der Isar erlauben. Nur zwei kurze Hinweise in Fritz Hartnagels Briefen geben Zeugnis von diesen Tagen. Keine Erinnerung schwingt mit, was die beiden getan, gesprochen, gefühlt haben. Das ist ungewöhnlich für Briefe von der Front, in denen regelmäßig Rückblicke auf Schönes in der Vergangenheit über die Schrecken der Gegenwart hinwegtrösten und ein enges Band über die weite Entfernung in Raum und Zeit knüpfen sollen. In Fritz Hartnagels Briefen ist von der Münchner Begegnung nicht weiter die Rede. Als ob er nicht an ihr Geheimnis rühren will: die Kostbarkeit gemeinsamer Tage im Bewusstsein eines Krieges, der Fritz Hartnagel mehr denn je in tödliche Gefahren bringen wird.
Noch während sie zusammen sind, am 18. Mai, geht Sophie Scholl in die Universität, um sich immatrikulieren zu lassen. Sie wählt als Studienfächer Biologie und Philosophie. An den Hochschulen hatte sich seit Kriegsbeginn das Verhältnis zwischen den Geschlechtern dramatisch verändert. Waren 1939 nur 15,9 Prozent aller Studierenden Frauen, betrug ihr Anteil im Jahre 1942 rund 43 Prozent. Die nationalsozialistische Politik hatte es aufgegeben, Mädchen vom Studium fernzuhalten, weil der Platz der Frau angeblich ausschließlich bei Ehemann und Kindern sei. Der Akademikermangel war eine stärkere Realität als jede Ideologie. Ab 1940 wurden sogar Frauen, die wegen ihrer Heirat 1933 aus dem Beamtenverhältnis entlassen worden waren, wieder zurückgeholt. Insgesamt wurde Studieren wieder attraktiv für junge Frauen, so dass die Zahl der weiblichen Studierenden in den Hörsälen auch absolut stieg und nicht nur, weil die männlichen Studierenden an die Front mussten. Noch ein paar Vergleichszahlen zwischen 1939 und 1941: Der Frauenanteil unter den Studierenden stieg bei den Juristen von 1,3 auf 10 Prozent; bei den Medizinern von 16,6 auf 29,8 Prozent; in den Naturwissenschaften von 12,5 auf 52,9 Prozent und in den Kultur- und Geisteswissenschaften von 31,2 auf 74,9 Prozent. Das bedeutet: In den Fächern, die Sophie Scholl wählte, war die Mehrheit der Studierenden Frauen.
War Sophie Scholl nicht bewusst, dass das Fach Biologie mehr als jedes andere von nationalsozialistischem Gedankengut geprägt war? Hier versuchte man die Fantasien von »auserwählten Rassen« und »gutem arischen Blut« wissenschaftlich zu belegen. War es ihrer bewunderten Biologielehrerin, Fräulein Dr. Frieß, wirklich gelungen, die Unterrrichtsanweisung von 1935 zu umgehen? Diese Anweisung machte Biologie zum wichtigsten Schulfach und nannte als Lernziel, dass »kein Knabe und kein Mädchen die Schule verlässt, ohne zur letzten Erkenntnis über die Notwendigkeit und das Wesen der Blutreinheit geführt zu sein«. In Sophie Scholls Briefen gibt es nicht den kleinsten Hinweis, was ihre Arbeit an der Universität betrifft. Nur wenigen ist es aufgefallen. Am 17. Juni fragt Waldemar Gabriel in seinem Brief: »Welche Vorlesungen hören Sie eigentlich?« Und in einem Brief vom 23. Juni fasst sich Sophie Scholls Schwester Liesl ein Herz: »Überhaupt muss ich Dich wieder einmal ausfragen: ich höre nur von Philosophierereien, Teetrinken, Segeln und an sich ist doch Dein Studium auch nicht gerade Nebensache und vielleicht doch ein konkretes Ding?«
Die Treffen und Abendgesellschaften, Ausflüge und Konzerte, von
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