Sophie Scholl
Sie möchte der ältesten Schwester »nahe sein« und will nicht ins Bett gehen, »ohne vorher die Hand zu nehmen, die Du mir gereicht hast«. Sie fügt hinzu, am Adventsabend sei Christoph – Christl – Probst – da gewesen: »Er übt einen guten Einfluss auf Hans aus, Otl würde sich sicher mit ihm verstehen.« Otl Aicher bleibt für Sophie Scholl der Mensch, an dem sie Maß nimmt, für sich und andere. Bruder Hans scheint ein Gesprächsthema für die beiden Schwestern zu sein und kein einfaches; sie machen sich Sorgen. Am 12. November hatte Inge Scholl in ihrem persönlichen Gebetbuch Gott vorgetragen: »Hans, lenke Du ihn. … Lass mich demütig gegen ihn sein.« Sie fürchtet, er habe immer noch nicht von dem Abschied genommen, was ihm den Weg zu Gott versperrt.
1. Dezember – Sophie Scholl meldet sich mit einer Karte bei ihrer Freundin Susanne Hirzel, die in Stuttgart an der Musikhochschule studiert: »Liebe Suse! Ich werde am Donnerstag den 3. Dezember nach Stuttgart kommen, bist Du da anzutreffen? Das wäre sehr nett. Wann ich ankomme, weiß ich noch nicht, ich rufe Dir (!) dann an. Herzlichen Gruß, Sophie.«
2. Dezember – »Bei Hans sitzen wir spät und lange zusammen, denn Christl wird jetzt wegfahren. Gespräche über den Aufbau, manche Gedanken sind mir neu«, schreibt Willi Graf unter diesem Datum in München in sein Tagebuch. Es ist an der Zeit, ihn und Christoph Probst vorzustellen. Zusammen mit Sophie und Hans Scholl und Alexander Schmorell werden sie im Sinn der »Weißen Rose«, wenn auch nicht mehr unter diesem Namen, versuchen, die Menschen aufzurütteln, einem verbrecherischen Staat Widerstand zu leisten. (Auch Professor Kurt Huber wird sporadisch mit ihnen zusammenarbeiten, davon später.)
Willi Graf, Jahrgang 1918 und im Saarland aufgewachsen, war als Medizinstudent im Frühjahr 1942 in die Münchner Studentenkompanie eingezogen worden. Im Juli hatte er in sein Tagebuch notiert: »Hans Scholl kennengelernt. Hoffentlich komme ich noch oft mit ihm zusammen.« Willi Graf war durch die katholische Jugendbewegung geprägt worden. Es gelang ihm, der Hitlerjugend nicht beizutreten und trotzdem Abitur zu machen. Graf war ein kritischer Katholik, der sich bewusst von den »Unmöglichkeiten« seiner religiösen Erziehung frei machte. Seiner Schwester Anneliese schrieb er im Frühjahr 1942: »Ich behaupte, dass dies garnicht das eigentliche Christentum war, … das uns zur Nachahmung empfohlen wurde. In Wahrheit ist Christentum ein viel schwereres und ungewisses Leben, das voller Anstrengung ist und immer wieder neue Überwindung kostet, um es zu vollziehen.« Lieber als in medizinische Bücher vertiefte sich Graf in theologische Werke; Literatur und Musik waren für ihn Lebenselixier.
Nachdem er Hans Scholl näher kennengelernt hatte, ging er zu den literarischen Abenden in der Schmorell-Villa und den Diskussionen im Atelier Eickemeyer. Der vierundzwanzigjährige Graf war ein ernster, einsilbiger Teilnehmer. Seine Tagebuch-Eintragungen lassen erkennen, dass er am 2. Dezember über die »Weiße-Rose-Flugblätter« aufgeklärt wurde und sich entschloss, bei weiteren Aktionen mitzumachen. Dass seine Schwester Anneliese ab dem Wintersemester in München studierte, begrüßte er. Dass Frauen an Widerstands-Planungen und Aktionen teilnahmen, entsprach nicht seinem Rollenverständnis. Doch er akzeptierte, dass Hans Scholl seine Schwester in den Kreis der Verschworenen einbezog. Sophie Scholls Name allerdings taucht in Grafs Tagebuch-Eintragungen nicht auf; »bei Scholls« ist sein äußerstes Zugeständnis. Anneliese Graf hatte keine Ahnung von den Untergrund-Aktivitäten ihres Bruders.
Christl – Christoph – Probst, Jahrgang 1919, war ebenfalls Medizinstudent und mit Alexander Schmorell befreundet. 1941 heiratete er; im Dezember 1942 war Probsts Frau mit ihrem dritten Kind schwanger. Christoph Probst gehörte einer Studentenkompanie der Luftwaffe an und war Anfang Dezember von München nach Innsbruck versetzt worden. Die Tagebuch-Notiz von Willi Graf spricht dafür, dass auch Probst am 2. Dezember über die geheimen Aktivitäten und zukünftigen Pläne informiert wurde. In die aktive Flugblatt-Arbeit der folgenden Wochen band man ihn nicht ein, um ihn mit seiner jungen Familie nicht zu gefährden. Bei seinen Besuchen in München jedoch wurde er in alles eingeweiht. Um die Wende vom November zum Dezember schlug Hans Scholl ihm vor, den Text für ein Flugblatt zu entwerfen.
Am 3. Dezember fahren
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