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Sophie Scholl

Sophie Scholl

Titel: Sophie Scholl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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geleitet und in Blumberg im Kinderhort selbständig gearbeitet. Nicht zu reden von den verantwortlichen Posten, die sie jahrelang bei den Jungmädeln hatte. Jetzt muss Sophie Scholl schweigen und den Samowar bedienen, wo sie vielleicht gerne an der politischen Diskussion beteiligt wäre oder einen kritischen Einwand zu den geplanten Aktionen gemacht hätte. Aber nun nutzt sie ihren Verstand, um gute Gründe zu finden, den »Ehrgeiz« früherer Jahre als etwas Schlechtes abzutun. Das Unbewusste jedoch folgt seinen eigenen Gesetzen und gehorcht keinem Schweigegebot.
    So wenig Zeit sie hatte, Sophie Scholl ließ die brieflichen Fäden zu Menschen, die ihr wichtig waren, nie abreißen. Am 20. Januar war ihr Bruder Werner an der Reihe: »Heute habe ich wieder einen Brief von Dir erhalten, doch reicht es mir jetzt nicht zur Antwort, denn in 10 Minuten treffen wir uns in dem Atelier, das Geyer zur Zeit bewohnt. Dort will der Lektor der französischen Fakultät über Claudel sprechen.« Den zwanzigjährigen Werner, der den Krieg kaum ertragen kann und so gerne studieren würde, wird sie nicht mit ihren eigenen trüben Gedanken beschweren. Aber ein wenig kann Sophie Scholl ihm ehrlich von ihrer Stimmung vermitteln und ihn Anteil nehmen lassen an ihrem Münchner Leben: »Beinahe jeder Abend ist so irgendwie ausgefüllt. Vieles wird uns geboten, und ich bedaure es, dass Du nicht dabei bist. Und doch weiß ich nicht, ob Dir Deine Einsamkeit, von der ich einen kleinen Teil brauchen könnte, nicht eben soviel nutzt für das Wachstum Deiner Seele.«
    Der bisher unbekannte Brief Sophies an Werner Scholl, der erstmals den 20. Januar als Termin für ein weiteres Ateliergespräch ans Licht bringt, führt deutlich vor Augen, auf wie dünnes Eis sich jeder begibt, der versucht, ein Fakten-Gerüst über die Aktivitäten der vier Menschen zu erstellen, die im Januar und Februar 1943 in der Nachfolge der »Weiße-Rose-Flugblätter« mit ihren studentischen Mitteln Widerstand leisteten. Abgesehen von Willi Grafs kurzen verschlüsselten Anmerkungen in seinen Tagebüchern – weder Sophie noch Hans Scholl noch Alexander Schmorell haben Aufzeichnungen über die Planung und Herstellung der Flugblätter und den Ablauf der Aktionen hinterlassen. Niemand war anwesend bei ihren Gesprächen oder bei ihrer Arbeit am Vervielfältigungsapparat, beim Falzen der Flugblätter und anderen Aktivitäten, von denen wir noch hören werden. Ungeklärt ist auch die genaue Anzahl der postfertigen Flugblätter geblieben, weil Hans und Sophie Scholl und Alexander Schmorell in den Verhören unterschiedliche Angaben machten – von 9500, 6000 beziehungsweise 3500 bis 4500 ist die Rede.
    Die Rekonstruktion dieser Wochen und Tage beruht ausschließlich auf dem, was die Angeklagten in den Vernehmungen nach ihrer Verhaftung erzählt haben. Dabei standen vor allem Sophie und Hans Scholl und Christoph Probst, die als Erste verhaftet wurden, unter dem ungeheuren Druck, möglichst wenig über die direkten »Mittäter« preiszugeben und in nächster Linie auch alle anderen zu schützen, die als Freunde und Bekannte in den Verdacht der »Mittäterschaft« geraten könnten. So schrecklich es klingt: Nach der schnellen gemeinsamen Hinrichtung von Sophie und Hans Scholl und Christoph Probst konnten die anschließend im Umkreis der »Weißen Rose« Verhafteten in den Verhören vieles den Getöteten anlasten, das nicht der Wahrheit entsprach, aber keinen Schaden mehr anrichtete. Es werden Lücken und Unsicherheiten im Leben von Sophie Scholl in Bezug auf die Taten und ihre Mitwirkung bleiben; Daten, die nicht zusammenpassen, und Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Allerdings kann einiges aufgrund der bisher unbekannten Briefe geklärt oder widerlegt werden, manches steht plötzlich in einem anderen Licht. Die Fakten und Informationen der Briefe sind – im Vergleich zu den Gestapo-Vernehmungen – unbeeinflusst und zwanglos niedergeschrieben, ein unschätzbarer Vorteil.
    Sophie Scholls Brief vom 20. Januar an Werner Scholl korrigiert zwei bisherige Annahmen: Das Flugblatt kann wegen der Ateliergespräche schwerlich vom 20. auf den 21. Januar auf Matrize geschrieben und mit dem Vervielfältigungsapparat tausendfach abgezogen worden sein. Das muss in den folgenden Nächten passiert sein. Wenn das zutrifft, hat Willi Graf bei dieser Arbeit die meiste Zeit nicht mitgeholfen, denn er trat spät in der Nacht des 20. Januar eine Reise nach Köln, Saarbrücken, Straßburg und Freiburg

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