Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sophie Scholl

Sophie Scholl

Titel: Sophie Scholl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
Vom Netzwerk:
den größten Anteil an der Flugblatt-Arbeit haben, sind physisch und psychisch erschöpft: zu wenig Schlaf, überarbeitet, der Stress, mit ihren verbotenen Aktivitäten nicht aufzufallen, vor den Eltern und Geschwistern und den Freunden in München seit Jahresbeginn endgültig ein Doppel-Leben zu führen. Vielleicht das Gefühl zu haben, schon im Visier der Gestapo zu sein. Dazu gingen sie fast jeden Abend ins Konzert, fuhren ins Gebirge – um wie zum Trotz das Leben zu spüren. Sophie Scholl ist noch keine zweiundzwanzig Jahre alt.
    Dass der vierundzwanzigjährige Hans Scholl, der angehende Mediziner, seine Erschöpfung und die seiner Schwester in diesen Wochen mit einem wirksamen Mittel zu bekämpfen suchte, ist nicht abwegig. In einer Zeit, in der Unmengen von Psychopharmaka geschluckt werden, mutet es eher seltsam an, dass hier ein Tabu aufrechterhalten wird. Für eine Abhängigkeit gibt es keinerlei Hinweise, im Gegenteil. Mit der Kraft, die junge Menschen zu mobilisieren vermögen, haben Sophie Scholl und ihr Bruder in den folgenden Wochen ihre Aktionen durchgeführt – meist in der Nacht, gegen alle Erschöpfung und Anspannung und mit dem Wissen, sich in tödliche Gefahr zu begeben. Nach der Verhaftung durchsteht Sophie Scholl die stundenlangen Gestapo-Verhöre mit größter Konzentration.
    Sophie Scholl ist aktiv – einerseits. Andererseits empfindet sie ihr Tun als minimal, als zu gering gegenüber dem Schrecklichen, das Fritz Hartnagel seit vielen Wochen erleiden muss. Mit jedem Brief von ihrem Bruder Werner, gerade mal zwanzig Jahre alt und an der russischen Front eingesetzt, erfährt sie, wie deprimiert er von Krieg und Kommiss ist. Auch sein Schicksal macht Sophie Scholl das Herz schwer. Zwei Menschen von Millionen, die nicht über ihr Leben bestimmen können und womöglich für ein verbrecherisches System einen sinnlosen Tod sterben.
    Am 17. Januar schreibt Fritz Hartnagel: »Wir haben sehr schlimme Tage hinter uns. Seit 8 Tagen sind wir in ständigem Rückzug aus Stalingrad. Seit 8 Tagen sind wir bei 30° Kälte im Freien gelegen, ohne eine Möglichkeit uns aufzuwärmen. … Ich selbst habe beide Hände erfroren, davon 2 Finger mit Erfrierungen 3. Grades. … Die Lage hier ist ziemlich hoffnungslos. Wenn mich nicht ein anderes Schicksal ereilt, vor dem ich mit Gottes Hilfe oft auf wundersame Weise bewahrt worden bin, dann bleibt vielleicht nur noch die russische Gefangenschaft. … Und wenn wir unsere Hoffnung nicht an dieses Leben hängen, was kann uns dann schon genommen werden? Ich will beten und nochmals beten in diesen Tagen, und auch Du und alle Lieben sind darin innigst eingeschlossen. … auch um einen Gruß an meine Angehörigen möchte ich Dich bitten, falls ich nicht mehr dazu kommen sollte. Ich bleibe Dein Fritz.« Das ist bewegend und eindrucksvoll. Sophie Scholl, die ihre letzte Hoffnung wie Fritz Hartnagel auf die Verheißungen des christlichen Gottes setzt, bezieht daraus ihren Trost. Aber ist es verwunderlich, dass die Traurigkeit in diesen Tagen und Wochen ihre beständige Begleiterin wird? Dass eine Leere und Lähmung sie ergreift, gegenüber der Größe des Leidens und der Verbrechen?
    Noch etwas muss frustrierend für sie gewesen sein. Die Siebzehnjährige konnte wütend werden, als Fritz Hartnagel ihre weibliche Intuition lobte und damit Sophie Scholl das Denken absprach, auf das sie so stolz ist. Im kleinen Kreis der Widerständler waren das Denken und das Wissen der Einundzwanzigjährigen in politischen Diskussionen und grundsätzlichen Entscheidungen nicht gefragt – mochte Hans Scholl auch den klaren Verstand seiner Schwester schätzen und unter vier Augen für die Sache nutzen. An diese Rollenverteilung hielt sie sich, denn diesen Preis kannte Sophie Scholl, als sie sich zum Mitmachen entschied. Auch wenn sie dank ihres Bruders einen Platz in der männlichen Verschwörer-Gruppe bekam, was die praktische Arbeit betraf.
    Sophie Scholl musste sich klein machen, obwohl sie dazu nicht erzogen worden ist und in den vergangenen Jahren ihre Führungsqualitäten unter Beweis gestellt hatte. Weil es ihrem jetzigen Leben so fern scheint und auch keine Rolle in ihrer Korrespondenz spielt, vergisst man es nur zu leicht: Sophie Scholl, die zurückhaltende Studentin, hatte eine Menge Erfahrungen hinter sich – sie ist eine ausgebildete Kindergärtnerin; sie hat während der Monate im Lager Krauchenwies einen Haushalt mit einem Säugling geführt; in Fürstenberg einen Kindergarten

Weitere Kostenlose Bücher