Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sophie Scholl

Sophie Scholl

Titel: Sophie Scholl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
Vom Netzwerk:
Ulm
    Wenn die Männer bei ihren nächtlichen Protest-Aktionen unter sich bleiben wollen, dann macht Sophie Scholl eben ihre eigene Münchner »Streu-Aktion«. In ihrem Gestapo-Verhör erklärte Sophie Scholl, sie habe etwa zwischen dem 31. Januar und dem 6. Februar bei ihren »Besorgungen in der Stadt in 4 oder 6 Fällen Flugblätter der Widerstandsbewegung in Telefonkabinen, parkenden Autos etc. abgelegt«. Zu diesem Zweck hatte sie einige Flugblätter in der Handtasche, »um bei günstigen Gelegenheiten davon Gebrauch machen zu können«. Das war sogar noch riskanter als die gemeinsame nächtliche Aktion ihrer drei Gesinnungsgenossen, denn bei Sophie Scholl stand niemand Schmiere, und es geschah am helllichten Tag.
    Die Idee zu einem solchen Unternehmen muss Sophie Scholls gehobener Stimmung entsprungen sein, die mit dem Gefühl von Leere und Antriebslosigkeit abwechselte. Es ist ein Auf und Ab, das sich in ihren Briefen spiegelt. Ganz oben auf der Haben-Seite stand weiterhin die Überzeugung, dass der schreckliche Krieg seinem Ende zuging und sich eine neue Zukunft öffnete: »Wir sind alle sehr hoffnungsvoll, was die Kriegsdauer betrifft«, schreibt Sophie Scholl ihrem Bruder Werner am 29. Januar 1943. »Die Monate, die vor uns liegen, scheinen so vollgepfropft mit Entscheidungen zu sein, dass man ordentlich herausgerissen wird aus dem alten Trott.« Voller Optimismus ruft sie ihm zu: »Bleib so lange noch gesund und lass Dirs gut gehen.« Nicht nur von der Schwester hört Werner Scholl solche Töne. Den Eltern antwortet er am 9. Februar auf ihren Optimismus: »Mögen sich Eure Hoffnungen auf ein baldiges Kriegsende erfüllen. Ich bin hier trotz allem noch etwas skeptisch.«
    Ist die Stimmung gut, hat Sophie Scholl kein Problem damit, dass es in der kleinen Wohnung in der Franz-Joseph-Straße zugeht wie in einem Taubenschlag. In ihrem Brief an Werner skizziert sie mit leichter Hand den Trubel. Wilhelm Geyer, der Malerfreund aus Ulm, »wohnt bloß wenige Minuten von uns weg, und ist die meiste Zeit, da er nicht arbeitet, bei uns. Doch wir sind nicht nur zu Dritt. Ein steter Gast ist eine Freundin von Hans, die ich im Arbeitslager gewonnen habe, und seit einigen Tagen Lisl«. Die enge Freundin von Hans Scholl ist seit Jahresbeginn Gisela Schertling, mit der sich Sophie im Lager Krauchenwies angefreundet hatte. Seit dem Wintersemester ist die Einundzwanzigjährige in München und studiert Deutsch, Geschichte und Kunstgeschichte. Liesl, die ältere Schwester Elisabeth Scholl, ausgebildete Kinderkrankenschwester, ist auf ein paar Urlaubstage nach München gekommen.
    Aber Sophie Scholls Aufzählung der täglichen Besucher ist noch nicht am Ende: »Du musst noch Alex und Willi dazu zählen, dann könnte es so etwa stimmen.« Kein Wunder, dass sie »die Stunden des Alleinseins, die man einfach braucht«, oft erst am Abend findet, »wenn man müde ins Bett sinkt«. Aber selbst da ist Sophie Scholl oft nicht allein. Die Wohnung hat kein Gästezimmer, also teilt sich weiblicher Übernachtungsbesuch mit Sophie Scholl die Schlafcouch, wie in diesen Tagen Schwester Liesl. Auch Gisela Schertling bleibt öfters über Nacht in der Franz-Joseph-Straße – und nicht immer im Zimmer von Hans Scholl. Sophie Scholl nimmt die Unbequemlichkeiten gelassen: »Meistens liegt jemand neben mir, doch das stört nicht. Die Dunkelheit und die Stille bilden eine Kammer, wo man rückhaltlos seine Gedanken auf das richten kann, was einem not tut, wie die Luft, die man atmet.« Sophie Scholl muss sich sehr gut konzentrieren können, um sich trotz dieser Verhältnisse einen Raum des Alleinseins, was ihr seit jungen Jahren wichtig ist, zu schaffen.
    Elisabeth Scholl ist spätestens am 27. Januar nach München gekommen. Das Wiedersehen feierten die Schwestern am Abend mit einem Glas süßen Sekt und indem sie sich gegenseitig Gedichte vorlasen. Rilke, Manfred Hausmann, Carossa, Verlaine, Baudelaire: Seit den ersten Schritten in das Reich der Literatur sind Gedichte heimatliche Orte für Sophie Scholl, Kraftquellen für Geist und Herz und Leben. Ein lyrisches Gedicht, schreibt sie in November 1939 an Fritz Hartnagel, sei etwas, das einen »direkt betrifft«. Als Siebzehnjährige schickte sie Lisa Remppis das Gedicht »Trost« von Manfred Hausmann, weil es ihr genau das bedeutet: »Ich möchte eine alte Kirche sein, / voll Stille, Dämmerung und Kerzenschein …«. Gegen Ende der Schulzeit gehörte Rilkes Gedicht »Archaischer Torso Apollos« mit

Weitere Kostenlose Bücher