Sophie Scholl
an, um Gleichgesinnte für gemeinsame Aktionen und eine Verbreitung des Flugblatts zu gewinnen. Verraten hat ihn niemand, aber außer einem alten Freund lehnten alle Angesprochenen eine Mitarbeit ab. Graf war rechtzeitig am 24. zurück, um die letzten Kuverts für die allererste Flugblatt-Aktion zu füllen und Briefmarken aufzukleben. Am 23. Januar hatte Sophie Scholl verschlüsselt an Hans Hirzel geschrieben, er solle sich am Abend des 25. auf dem Bahnhof in Ulm einfinden.
25. Januar 1943 – Am Nachmittag stieg Sophie Scholl in München in einen Schnellzug nach Augsburg. In ihre Aktentasche und einen Rucksack hatte sie an die 2000 Flugblätter gepackt, etwa 250 davon in Umschlägen und mit Augsburger Adressen versehen. Da ihr für einen Teil der Briefe die Marken fehlten, kaufte sie in Augsburg rund 100 Marken zu 8 Pfennig. Wären die Kuverts in München eingeworfen worden, hätte man 12-Pfennig-Marken benötigt. Sophie Scholl klebte die fehlenden Marken auf, warf die 250 Sendungen in zwei verschiedene Briefkästen und fuhr gegen Abend weiter nach Ulm. Entgegen der Verabredung war Hans Hirzel nicht am Bahnhof. Da Sophie Scholl sich auskannte, ging sie, immer noch schwer beladen, in die Ulmer Weststadt, zum Pfarrhaus der Martin-Luther-Kirche. War schon die Fahrt im Zug mit den Flugblättern im Gepäck wegen der vielen Kontrollen äußerst riskant, wird Sophie Scholl mit gesenktem Kopf durch Ulms Straßen gelaufen sein, in der Hoffnung, keinem Bekannten zu begegnen. Im Pfarrgarten traf sie Hans Hirzel, übergab ihm die Flugblätter und ging schnellstens zum Bahnhof zurück.
Als Sophie Scholl wieder im Zug Richtung München saß, konnte sie tief durchatmen. Sie hatte nichts mehr im Gepäck, und dass sie – im Fall einer Kontrolle – von den Eltern in Ulm zurück zum Studium nach München fuhr, war absolut unverdächtig. Was festzuhalten bleibt: Es war Sophie Scholl, die innerhalb der riskanten Gesamtaktion den Anfang machte mit einem riskanten Einzel-Unternehmen. Auf der Etappe München–Augsburg–Ulm hätte etliches schief gehen können. Wäre Sophie Scholl verhaftet worden, hätte – abgesehen von ihrem eigenen Überleben – Gedeih und Verderb der Freunde zuerst einmal an ihrem klaren Verstand und ihren guten Nerven bei den Verhören gehangen.
26. Januar 1943 – Am nächsten Morgen war Alexander Schmorell an der Reihe. Auf seinem Reiseplan standen Salzburg, Linz und Wien. Die eingesparten Portokosten machten die Reisekosten wett, und die Gestapo wurde auf eine falsche Spur geführt, was die Gruppe mit Genugtuung erfüllte: als ob es sich um ein weit verzweigtes Widerstands-Netzwerk handle, das in mehreren Städten aktiv ist. Nach Sophie Scholls Angaben im Verhör waren für Salzburg 200, für Linz 200 und für Wien 1000 versandfertige Flugblätter gepackt, dazu 300 für Frankfurt am Main. Schmorell kam ohne Komplikationen bis Wien, übernachtete dort und gab die Wiener sowie die Frankfurter Ladung in die Post. Von der Idee, nach Frankfurt zu fahren, war die Gruppe abgekommen, so Sophie Scholl in ihrem Verhör, »weil das Fahrgeld nach Frankfurt mehr ausmachte, als wir an Porto hätten sparen können«.
27. Januar 1943 – Während Alexander Schmorell zurück nach München fährt, macht sich am gleichen Nachmittag Hans Hirzel nach der Schule auf den Weg von Ulm nach Stuttgart, mit gefährlicher Fracht im Koffer. Er hat in seiner freien Zeit seit der Flugblatt-Übergabe durch Sophie Scholl mit seinem Freund Franz Müller auf der Empore der Martin-Luther-Kirche, gut versteckt hinter der Orgel, 600 Kuverts beschriftet und mit Briefmarken beklebt, die Flugblätter gefalzt und eingetütet. In Stuttgart ruft er seine Schwester Susanne an, trifft sich mit ihr, weiht sie ein und bittet um ihre Mitarbeit. Seine Zeit wird nicht reichen, alle Kuverts auf verschiedene Briefkästen zu verteilen. Er muss den 21-Uhr-Zug zurück nehmen, damit die Eltern keine misstrauischen Fragen stellen.
Susanne Hirzel überlegt nicht lange, endlich kann sie auch etwas tun. Während ihr Bruder wieder nach Ulm fährt, verteilt Susanne Hirzel in kleinen Mengen die Kuverts auf Briefkästen quer durch Stuttgart. Gegen zwei Uhr morgens ist es geschafft. In ihrem Zimmer öffnet sie den allerletzten Brief, um zu lesen, was sie heimlich verteilt hatte: »Nachdem ich das getan hatte, warf ich ihn mit großer Genugtuung in meinen noch warmen Ofen – jetzt war jedes Flugblatt weg! Nun wollen wir mal sehen!, dachte ich noch bei mir.«
Um diese
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