Sophie Scholl
Hörsaal festzuhalten und gleichzeitig die Studenten zum Ausgang des Deutschen Museums hinauszudrängen. Die Studenten, viele in Uniform, fühlten sich in ihrer »Soldaten- und Offiziersehre« gekränkt und wollten zudem als Kavaliere ihren Kommilitoninnen zu Hilfe eilen. Es kam zu Handgreiflichkeiten, selbst Gestapo und Polizei wurden heftig angegriffen. Die Studenten blieben im Museum und skandierten »Wir wollen unsere Frauen wieder!«, während im Hörsaal die Frauen festgehalten wurden. Einige Studentinnen wurden zum Verhör zur Gestapo gebracht, aber noch in der Nacht freigelassen. Der Versuch der Gestapo, ein »bewusstes Komplott gegen den Gauleiter« nachzuweisen, scheiterte. Aber das Ereignis blieb Studenten- und Stadtgespräch.
Auch für Sophie und Hans Scholl, Alexander Schmorell und Willi Graf bestand Anwesenheitspflicht. Aber sie hatten sich für den Abend des 13. Januar anderes, Wichtigeres vorgenommen. Von einem zweiten Grund berichtete Wilhelm Geyer später in seinen Gestapo-Verhören. Er kam am späten Nachmittag bei den Scholls vorbei. Auf die Frage, warum sie nicht zum Festakt ins Deutsche Museum gingen, erklärten sie, »im Fall von Unstimmigkeiten« würden sie als Erste in den Verdacht kommen, die Urheber zu sein, »da sie innerhalb der Studentenschaft oder der Studentenkompanie politisch verdächtig seien«. Geyer hat mehrfach ausgesagt, dass die Geschwister sich seit dem Jahresanfang 1943 von der Gestapo überwacht fühlten. Anhaltspunkte oder Hinweise dafür haben sich nirgendwo gefunden. Der Skandal im Deutschen Museum ist kein Auslöser und kein Antreiber für die Flugblatt-Aktivitäten gewesen. Der Zeitplan stand seit Ende Dezember fest. Aber die Ereignisse im Deutschen Museum haben die Vier in ihrer Hoffnung bestärkt, die Studenten für Aktionen gegen das Regime gewinnen zu können. Sie hätten die Auffassung vertreten, »dass die meisten der Studenten revolutionär und begeisterungsfähig sind«, sagte Sophie Scholl in ihrem Verhör, »sich vor allem aber etwas zu unternehmen getrauen«. Sie fügt allerdings hinzu, die Studenten seien keineswegs »in Revolutionsstimmung gegen den heutigen Staat«.
Das Aufbegehren der Studentinnen wurde nicht in das Januar-Flugblatt aufgenommen, wohl aber in das folgende. Das spricht dafür, dass am 13. schon ein Entwurf vorlag. Um die Monatsmitte bittet Hans Scholl Professor Huber auf einen Besuch in die Franz-Joseph-Straße. Er legt ihm zwei Entwürfe zur Begutachtung vor: einer von ihm, einer von Alexander Schmorell. Den von Schmorell lehnt Huber grundsätzlich ab, er habe »kommunistisch klingende Aufforderungen«. Scholls Entwurf beurteilt er positiv und empfiehlt für den zweiten Teil einige Änderungen. Hans Scholl entscheidet Tage später, dass diese Version genommen wird; Rücksprache mit Huber oder Schmorell hält er darüber nicht.
Nach seiner Verhaftung wird Hans Scholl zu Protokoll geben, er habe dieses Flugblatt ganz allein geschrieben. Sophie Scholl dagegen erklärte bei ihrer Vernehmung, »mein Bruder hat es zusammen mit mir verfasst«, und sie meinte damit einen Probe-Entwurf. Hans Scholl wollte vor der Gestapo alle Verantwortung auf sich ziehen, das ist nachvollziehbar. Versuchte Sophie Scholl, um ihren Bruder zu entlasten, die Hälfte der Verantwortung auch auf ihre Schultern zu laden – obwohl es nicht den Tatsachen entsprach? Es leuchtet nicht sehr ein, auch wenn es, wie so vieles in diesen Tagen, nicht nachweisbar ist. (Weder Sophie noch Hans Scholl haben in ihren Vernehmungen Professor Huber erwähnt, in der Hoffnung, ihn aus der Sache herauszuhalten.)
Selbst wenn der Entwurf allein von Hans Scholl stammt: dass er ihn – und ebenso die Schlussfassung – Sophie Scholl nicht zum kritischen Gegenlesen vorgelegt und nicht mit ihr unter vier Augen darüber diskutiert hat, widerspricht den Gepflogenheiten der Geschwister und dem Ansehen, das Sophie nicht nur innerhalb der Familie für ihren kritischen Verstand und ihre literarische Begabung hatte. Otl Aicher, Hans und Inge Scholl schickten ihre Aufsätze für das »Windlicht« vorweg an Sophie zum Begutachten. Hans Scholl wusste, dass ihr zurückhaltendes Auftreten im Studenten-Kreis in München nur eine Seite seiner jüngsten Schwester war. Er kannte ihren politischen Kopf aus vielen Diskussionen in der Familie. Und das zeichnet das Flugblatt vom Januar 1943 aus: Es ist wesentlich politischer und stringenter formuliert als alle vier Schreiben, die im Sommer 1942 als
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