Sophie Scholl
denen auch Sophie Scholl als Scharführerin mit ihren Jungmädeln gefordert ist. Dann sind Sommerferien, und mit den Führerinnen geht es unter Inge Scholls Leitung auf die Insel Langeoog.
Ende Juni stellt Robert Scholl, weil ein neues Gesetz es verlangte, einen Antrag ans Ulmer Finanzamt, weiterhin als selbständiger Wirtschaftstreuhänder und Rechtsberater tätig sein zu dürfen, und gibt Einblick in seine Arbeit. Er zieht Forderungen ein, betreibt Zwangsvollstreckungen, nimmt Gläubigerinteressen in Konkurs- und Vergleichsverfahren wahr, berät Privatpersonen bei Testamenten und Nachlass-Auseinandersetzungen. Von einer erneuten Zulassung hängt die wirtschaftliche Existenz der Familie ab.
Nach Eingang der Unterlagen vermerkt das Finanzamt intern: »Gegen die Zulassung bestehen keine Bedenken.« Doch im Dritten Reich geht es nicht nur um die fachliche Qualifikation. Das Finanzamt fragt bei der Kreisleitung der NSDAP an, »ob Tatsachen vorliegen, aus denen hervorgeht, dass Robert Scholl nicht vorbehaltlos zum Volk, zum Führer und zur heutigen Staatsform steht. Heil Hitler«. Die Kreisleitung gibt die Anfrage vorsichtshalber weiter an das Gauamt in Stuttgart. Der Gauamtsleiter meldet am 14. August in Sachen Robert Scholl, dass »nichts Nachteiliges bekannt geworden« sei. Am 20. August teilt das Ulmer Finanzamt Robert Scholl mit, er sei befugt, die Bezeichnung »Helfer in Steuersachen« zu führen. Zum einen für Ulmer Bürger, zugleich erhält er weitergehende Vollmachten für Steuerpflichtige in Heidenheim, Backnang, Waldsee, Tettnang, Friedrichshafen, Aulendorf und Biberach.
Der Steuerberater Robert Scholl ist gut im Geschäft, und ihm wird nach dem positiven Schreiben des Finanzamtes ein Stein vom Herzen gefallen sein. Er ist nun im Dritten Reich, dessen Politik er ablehnt, ja für verbrecherisch hält, beruflich fest etabliert, ohne NSDAP-Mitglied geworden zu sein. Nach dem positiven Bescheid beschließt er, Anfang nächsten Jahres eine Prüfung abzulegen, die es ihm erlaubt, Lehrlinge auszubilden. In den Ablauf der Ereignisse passt eine Szene auf dem Ulmer Charlottenplatz am 24. September 1936 – in Inge Scholls Notizbuch festgehalten –, die sozusagen das fehlende Zwischenstück ist und zwei Schlüsse zulässt: Inge Scholl war bis zu diesem Zeitpunkt kein Lehrling im Büro ihres Vaters; er hat kurz zuvor eine Entscheidung getroffen, die Folgen für ihr Leben hat – ohne sie zu fragen oder ihr eine Wahl zu lassen.
Das Protokoll über das Führerinnen-Treffen um 18 Uhr 15 am Charlottenplatz ist kurz und nüchtern: »Inge Scholl lässt Ring 2 und Ring 7 antreten: ›Ich muss zu meinem Vater aufs Büro‹.« Dass die neue, offenbar für sie überraschende Entwicklung ihr keine Zeit mehr für Führungsarbeit lassen wird, setzt sie ohne ein Wort zu verlieren voraus und benennt im gleichen Atemzug ihre Nachfolgerin als Führerin von Ring 7. Dann schwingt sie sich »erleichtert auf ihr Rad« und fährt davon. Kommentar der Protokollantin: »Sagen können wir Inge jetzt nichts; sie hilft sich selbst.« Erleichtert? Inge Scholl verzichtet aus Pflichtgefühl auf den hohen Posten. Sie selber weiß am besten, wie viel Zeit und Mühe sie in ihre Aufgaben investiert. Und eine Scholl machte keine halben Sachen. Aber sie wird weiter zu den Jungmädel-Abenden gehen, bei Kundgebungen in Reih und Glied stehen und mit den jungen Mädchen marschieren und singen, wenn es ihr die Arbeit im Büro des Vaters erlaubt.
Wie sehr sie mit dieser Gemeinschaft und ihren Zielen verbunden bleibt, beweist ihr Brief an ihren Bruder Hans vom 20. April 1937 – Hitlers Geburtstag. Der Tag, an dem die Neuen in die HJ und in die Jungmädel- und BDM-Gruppen eingeschworen wurden, »ich gelobe Adolf Hitler unverbrüchliche Treue …«. Der Tag, an dem Hans und Inge Scholl in ihren Führungspositionen die Neuen nach dem Gelöbnis feierlich mit Handschlag in den NS-Jugendbund aufgenommen hatten. Inge Scholl setzt bei ihrem Bruder die gleiche wehmütige Erinnerung und die gleichen positiven Gefühle voraus: »Vorhin ist das Jungvolk ganz prima vorbeimarschiert zur Übergabe seiner 14jährigen in die HJ. Die Feier soll ganz gut gewesen sein … Es ist seltsam, früher, wie ich noch Ringführerin war, hatte ich oft einen solchen Ekel vor der Masse, vor den vielen Menschen, vor dem täglichen Zusammensein mit ihnen, und heute könnte ich die Mädels nicht mehr missen. Man gewöhnt sich an einen Kreis.« Vom Ekel ist in den Notizen während ihrer
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