Sophie Scholl
Deutschland: Die Olympiade in Berlin begeisterte die Ausländer und erfüllte die Deutschen mit ungeheurem Stolz auf ihre Nation, ihren Staat.
Auch die Attraktion der Führungsarbeit im BDM war vielfältig und differenziert. »Romantisch« ist eine der Bezeichnungen, mit denen Eva Amann im Rückblick auf ihre Jungmädelzeit ihre Führerin Sophie Scholl kennzeichnet. Typisch für viele Erinnerungen, in denen Beteiligte nach 1945 schildern, worin die Suggestionskraft von Hitlerjugend oder BDM lag. So auch Inge Scholl in ihrem Buch »Die Weiße Rose«: »Wir hörten viel vom Vaterland reden, von Kameradschaft, Volksgemeinschaft und Heimatlieben. Das imponierte uns … Aber noch etwas anderes kam dazu, was uns mit geheimnisvoller Macht anzog und mitriss. Es waren die kompakten Kolonnen der Jugend mit ihren wehenden Fahnen, den vorwärtsgerichteten Augen und dem Trommelschlag und Gesang. War das nicht etwas Überwältigendes, diese Gemeinschaft? So war es kein Wunder, dass wir alle, Hans und Sophie und wir anderen, uns in die Hitlerjugend einreihten.« Diese Erinnerung erklärt manches, aber verklärt und verschleiert anderes, Substanzielles.
Trommeln und Fahnen, Fackeln und Schwur gehörten zum ausgeklügelten Instrumentarium, mit dem Stimmungen und magische Momente hergestellt wurden, ein Zauber, der alle zusammenschweißte. Mehrmals in Inge Scholls Tagebuchnotizen von 1935/36 geht es um ein tiefes inneres Gefühl, ausgelöst durch solche Äußerlichkeiten. Am 24. März 1936 leitet sie einen Heimabend für fünfzehn Mädchen, die als Jungmädel aufgenommen werden wollen: »Dann marschieren wir an den Charlottenplatz … Es liegt eine eigene Stimmung über der Gruppe … Sie hören nicht das Lärmen der Straßenbahnen. Nicht die Menschen – im Mittelpunkt steht die Gemeinschaft. Ich werde mitgerissen.« Und Anfang Mai ein Führerinnenabend, bei dem wahrscheinlich auch Sophie Scholl dabei ist: »Wir marschieren. Seltsam klar und einig klingt der Marschschritt. Wir werden alle gepackt … Jetzt erst spüre ich, wie sehr wir aneinanderhängen.« Das sind tiefe Gefühle; aber soll das wirklich alles sein? Inge Scholl wird im September 1936 neunzehn Jahre alt und hat seit knapp drei Jahren alle freie Zeit, ihre Kraft und ihre Kreativität in die Arbeit beim BDM gesteckt. Soll es nur an Fahnen, Trommeln und Marschschritt hängen, was Inge, Sophie und Hans Scholl so lange so aktiv im Dienst der nationalsozialistischen Jugend-Organisationen hielt?
Sophie Scholl konnte als Führerin bei den Jungmädeln zum einen ihre jugendlichen Ideale von einer gerechten Gemeinschaft, in der alle gleich sind, erproben; auch Uniformen und Gleichschritt hatten in diesem Rahmen ihren Sinn. Niemand sollte aus der Reihe tanzen, da war sie streng – wie ihre Schwester Inge und ihr Bruder Hans in ihren Gruppen. Denn so waren die Scholl-Geschwister als gute Bürgerkinder erzogen worden: ihre Arbeit und ihr Engagement ernst zu nehmen. Disziplin und Leistung, Verantwortungsbereitschaft und Selbständigkeit hießen die pädagogischen Leitsterne im Elternhaus Scholl. Ihre Talente und Fähigkeiten sollten die Kinder einsetzen für die Gemeinschaft; wie es Robert Scholl als Bürgermeister in Forchtenberg getan hatte und Lina Scholl vor ihrer Heirat als Diakonisse.
Sophie Scholls Vorgängerin als Jungmädelführerin war die Tochter des protestantischen Pfarrers; Eva Amann, ihre Nachfolgerin, kam aus einem Beamtenhaushalt. Die Scholl-Geschwister sind keine Ausnahme, sondern die Regel: Es waren vor allem Kinder aus bürgerlichen Familien, die zwischen 1933 und 1936 von Hitlerjugend und BDM angezogen wurden. Dort konnten sie neben ihrem jugendlichen Elan alles, was im Elternhaus gefördert und gefordert worden war, anwenden, erproben und nutzen. Dazu gehörten Kreativität bei Hand- und Werkarbeit, die Kenntnisse von Märchen und die Freude an Büchern, aber auch die Fähigkeit, zu planen und zu organisieren. Und dass Sophie Scholl musikalisch begabt und ausgebildet war – sie konnte nicht nur auf der Gitarre begleiten, sondern spielte auch gut Klavier –, war wesentlich für eine attraktive Arbeit mit den jungen Mädchen.
Die Bürgerkinder scheuten sich nicht, Vorbild zu sein. Sie konnten diskutieren, aber auch ihre Vorstellungen rigoros durchsetzen. »Wisse, ein erhabner Sinn / Legt das Große in das Leben, / Und er sucht es nicht darin.« Diese Lebensmaxime, die die Eltern 1932 in das Tagebuch für Inge Scholl geschrieben hatten, galt allen ihren
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