Sophie Scholl
einzelnen hinweggehen: Biegen oder brechen – eines von beiden!«
Vorbei war die Zeit, in der im Rahmen der nationalsozialistischen Ideologie eine gewisse Eigenständigkeit geduldet wurde. Vor allem den Kirchen wehte ein anderer, rauher Wind entgegen. Vorbei war die Zeit, als der Führer keine Rede hielt, ohne den Herrgott oder den Allmächtigen zum Zeugen seiner Gesinnung und seiner Mission für Deutschland anzurufen. Jetzt kam zum Vorschein, wovon Hitler und seine Getreuen von Anfang an überzeugt waren. »Was glauben Sie, werden die Massen jemals wieder christlich werden?«, fragte Adolf Hitler 1933 den Parteigenossen Hermann Rauschning, der 1939, ins Exil geflüchtet, seine »Gespräche mit Hitler« veröffentlichte. Und gab gleich selber die Antwort: »Dummes Zeug. Nie wieder. Der Film ist abgelaufen. Da geht niemand mehr herein. Aber nachhelfen werden wir.«
Von 1933 bis 1935 sinkt die Zahl der Kirchenaustritte wie nie zuvor seit 1918. Warum soll man austreten, wenn die nationalsozialistische Politik – von der überwältigenden Mehrheit der Deutschen bejubelt – demonstrative Harmonie mit den Kirchen pflegt? Mit dem Jahr 1936 geht die Vorgabe der Partei unüberhörbar in die entgegengesetzte Richtung. »Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens«, heißt die Parole. Von Oldenburg bis Bayern sollen »kirchliche oder andere religiöse Zeichen« aus Schulen und öffentlichen Gebäuden entfernt werden. Bis 1937 werden 250 Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Priester, Mönche und Laienbrüder in Gang gebracht. Die antikirchliche Propaganda schwillt deutlich an; die Hitlerjugend stört mehr denn je kirchliche Veranstaltungen. Alles Aktivitäten, um der Entchristlichung nachzuhelfen.
Insgesamt wird eine Stimmung erzeugt, die nicht mehr auf Harmonie aus ist, sondern offen die unüberbrückbare Kluft zwischen der rassistischen Weltanschauung der Nationalsozialisten und der universalen christlichen Botschaft propagiert, die sich an alle Völker und alle Nationalitäten richtet. Wie ein Seismograph gibt die Austrittskurve die innere Haltung der Menschen wieder: Im Jahre 1937 ist die Zahl der Austritte bei den Protestanten – die ohnehin mehr dazu neigen ihre Kirche zu verlassen – mit knapp 380 000 dreimal so hoch wie 1936. Wer mit dem Staat Adolf Hitlers konform geht und keine feste Bindung an die Kirche hat, warum soll er bleiben, wenn er mit einem Austritt seine Zustimmung zur nationalsozialistischen Politik demonstrieren kann? So wie vor 1937 sein Verbleiben in der Kirche mit der braunen Propaganda übereinstimmte.
Das ist die politische Stimmungslage, als Sophie Scholl am 21. März 1937, Palmsonntag, von Stadtpfarrer Gustav Oehler in der evangelischen Garnisonskirche zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Werner konfirmiert wird. Als Einzige der Konfirmanden-Gruppe erscheinen die beiden in brauner Uniform in der Kirche. Ein weiteres Zeichen für Sophie Scholls »fanatische« nationalsozialistische Einstellung in ihren Jugendjahren? Wer so urteilt, verkennt die Umkehrung und Doppelbödigkeit der nationalsozialistischen Politik gegenüber den Kirchen und dem christlichen Glauben. Die braune Uniform am Altar ist 1937 ein ebenso demonstrativ-symbolisches Zeichen wie 1934 – nur diesmal mit einer anderen Aussage. Aber es ist nicht Sophie Scholl, die sich geändert hat.
Im April 1934 hat sie ihren Eintritt bei den Jungmädeln mit ihrem ersten Eid auf Adolf Hitler beschworen: »Jungmädel wollen wir sein. / … Stark und stolz wollen wir werden: / Zu gerade, um Streber oder Duckmäuser zu sein, / … Zu gläubig, um zu zagen und zu zweifeln, / Zu ehrlich, um zu schmeicheln, / Zu trotzig, um feige zu sein.« Es war die Zeit, als in Ulms evangelischen Kirchen der Bräutigam in SS- oder SA-Uniform zum Traualtar schritt und Hakenkreuz-Fahnen das Kircheninnere schmückten. Im April 1934 wurden Jungen und Mädchen reihenweise im »braunen Ehrenkleid« der HJ-Uniform konfirmiert. Und der Evangelische Gemeindebrief setzte in einem »Gruß an die Konfirmanden« mit großer Erleichterung Adolf Hitler in direkte Beziehung zu Gottes Güte: »Wie würde die Evangelische Kirche wohl Konfirmation feiern ohne Hitler … ›Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich!‹«
Die Kirche hing nach vier Jahren brauner Herrschaft immer noch dem Glauben an, mit der nationalsozialistischen Bewegung zusammen ein christliches Drittes Reich, ja ein christliches Europa neu zu bauen. Adolf Hitler war
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