Sophie Scholl
ist herrliches Wetter. Jeden Tag baden wir in der Iller, die sehr kalt ist. Heut war ich mit Suse und nachher mit Inge. Mit Suse vertrag ich mich gut. Wir saßen in einer hohen Wiese, von außen konnte man uns nicht sehen vor Gras und Margeriten.« Das war am 28. Mai 1937, und »Suse« war ihre Freundin Susanne Hirzel. Mit ihr genießt Sophie Scholl ein besonderes Bade-Erlebnis, als wegen der frühen Dunkelheit kein Mensch mehr in der reißenden Iller ist: »Wir badeten ohne Anzug. Das ist was ganz anderes. Jeden Strudel spürt man. Es ist herrlich und wir konnten uns beinahe nicht trennen.«
Distanz und Überheblichkeit: »Vor der Schule graut mir. Ich mag gar nicht, gar nicht. … Ich fühle, wie ich mich von den andern immer mehr entferne. Ach Gott ja. … Ich bin auf dieser Fahrt einige Stufen höher gestiegen. Ich spüre dies mit einer beglückenden Gewissheit. … Ich war gut in der Schule. Es kommt mir alles so fremd vor. Alle Mädchen, auch Anneliese, sie bedeuten mir immer weniger.« Sophie Scholl wird wählerisch und kritisch, auch was ihre Freundinnen betrifft. Annelies Kammerer, deren Eltern ein gut gehendes Fotogeschäft in Ulm führen, und Sophie haben sich bei den Jungmädeln kennengelernt. Später hat Annelies Kammerer die Schule gewechselt und kam in Sophie Scholls Klasse. »Annlis K. sitzt nun jeden Tag wieder neben mir. Das macht doch viel aus. Wir gehen öfter miteinander fort«, notiert Sophie Scholl am 11. Juni 1937. Die Freundschaft bleibt, ist aber gegen Schwankungen nicht gefeit.
Susanne Hirzel bekommt im Tagebuch durchgängig gute Noten, zumal Sophie Scholl deren kleine Brüder ganz reizend findet. Und dass sie nach Sophie Scholls Überlegungen im Mai sogar ein wenig Lisa Remppis, die beste Freundin, ersetzen soll, ist eine große Auszeichnung: »Lisa ist weit fort und wir sehen uns alle Jahre einmal. Es hilft mir nicht viel. Ich verstehe sie gut und vertraue ihr auch ganz. Aber sie wächst in anderen Verhältnissen auf. Ich werde jetzt öfter mit Suse zusammenkommen.« Im Oktober jedoch zeigt eine weitere Bemerkung, wie fest Sophie Scholls Bindung an Lisa ist. Im Zusammenhang mit der größer werdenden Distanz zu den Mädchen in der Schule, Annelies Kammerer inbegriffen, schreibt Sophie Scholl: »Ich wollte gerne, Lisa wäre hier – sie versteht mich trotz ihres Alters am besten.« Die zwei Jahre jüngere Lisa, Brücke in die Kinderzeit, wird Sophie Scholl auch all die Jahre des Erwachsenwerdens begleiten, in gegenseitiger Treue.
Schwankungen. »Ich bin gerad in einem Wellental meines Lebens«, notiert Sophie Scholl am 18. September. Wer so sehr zwischen Gefühlen hin und her gerissen wird, bekommt ein dünnes Seelen-Fell: »Meine Nerven sind ziemlich überreizt, wegen jedem Quack möchte ich losheulen.« Sophie Scholls Tagebuch enthält keine Geniestreiche, es markiert keine Außenseiterposition. Vielmehr spiegelt es die Achterbahn der Gefühle, denen die Sechzehnjährige ebenso wie andere junge Mädchen und junge Männer ausgesetzt ist, wenn die Hormone einen neuen Zeitabschnitt im Leben ankündigen und erst einmal vieles durcheinander bringen.
Ablösung von den Eltern. Es ist die schwierigste Aufgabe, die die Pubertät den jungen Menschen stellt: sich aus der Abhängigkeit von den Eltern zu befreien, um zu einer eigenen Sicht der Welt zu kommen und tiefe Emotionen zu Menschen außerhalb des Familienkreises zu entwickeln. Sophie Scholl, »Mutters Sonnenschein«, hat es leichter gehabt mit den Eltern als Inge, die älteste Schwester. Von Konflikten mit der Mutter steht kein Wort im Tagebuch. Abgeklärt kommentiert Sophie die launischen Ausbrüche des Vaters, die Inge sich noch sehr zu Herzen nahm: »Daheim ist alles nervös, Vater schreit mich an, wenn ich pfeife, überhaupt meistens. Ich hab mich beinahe damit abgefunden. Es gibt ja so viel, über das man sich freuen kann.« Sophie Scholl hat auch kein Problem damit, die positiven Seiten ihres Vaters herauszustellen, wie am 31. August 1937: »Vorgestern kamen wir von der Böhmerwaldfahrt zurück. Unser Schlafzimmer trafen wir sehr schön an. Aus dem dunklen Loch ist ein heller, wunderbarer Raum geworden. In diesen Sachen kann man sich auf Vater verlassen.«
Die Abscheu vor den Spießern und dem bürgerlichen Leben richtet sich nicht gegen die Eltern. Zum einen ist das Ulmer Milieu gemeint – »Ach! Spießer! Alles in Ulm« –, zum andern geht ihre Kritik an die eigene Person: »Ich will nicht oberflächlich werden. Ich will nicht
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