Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sophie Scholl

Sophie Scholl

Titel: Sophie Scholl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
Vom Netzwerk:
saßen am gleichen Tag der Maler Max Beckmann und seine Frau Mathilde vor dem Radio. Sie erhofften sich von Adolf Hitlers Rede zur Eröffnung des »Hauses der Deutschen Kunst« programmatische Aussagen. Und die bekamen sie. Was die bisherige Kunst betraf, habe es »das Judentum verstanden … das allgemeine gesunde Empfinden auf diesem Gebiet zu zerstören«. Aber »das nationalsozialistische Deutschland will wieder eine ›deutsche Kunst‹ … Kubismus, Dadaismus, Futurismus, Impressionismus usw. haben mit unserem deutschen Volke nichts zu tun«. Der Führer und Reichskanzler und selbsternannte größte Kunstexperte Deutschlands ließ es wieder einmal nicht an Deutlichkeit fehlen: »Wir werden von jetzt ab einen unerbittlichen Säuberungskrieg führen, einen unerbittlichen Vernichtungskrieg gegen die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung …« Max Beckmann, der unter den Malern des 20. Jahrhunderts zu den größten gerechnet wird, hatte verstanden. Er nahm mit seiner Frau am nächsten Tag in Berlin den Zug nach Amsterdam und hat bis zu seinem Tod 1950 in New York nie mehr deutschen Boden betreten.
    Zum »Vernichtungskrieg« gegen die modernen Künstler gehörte es, ihnen jede Ausstellungsmöglichkeit zu nehmen. Die »Erste Große Deutsche Kunstausstellung« zeigte nichts als »Blut-und-Boden«-Bilder, Bauern und Landschaften, anatomisch penible Akte, heroische Schlachtengemälde, völkischen Kitsch. Mehrere hunderttausend Menschen gingen an diesen Bildern vorbei. Rund zwei Millionen Besucherinnen und Besucher aber sahen um die Ecke in der nahen Galeriestraße bis in den November 1937 die Ausstellung »Entartete Kunst«, die am 19. Juli von Adolf Ziegler, seit 1925 NSDAP-Mitglied und seit November 1933 Professor an der Kunstakademie in München, eröffnet wurde.
    Seit Juni hatte eine Kommission unter Zieglers Leitung in deutschen Museen und Galerien rund 5000 Gemälde und 12 000 Grafiken beschlagnahmt und enteignet. Von diesem gigantischen Kunstraub wurden 650 Bilder von 120 Künstlern ausgewählt – darunter George Grosz, Paul Klee, Paula Modersohn-Becker, Vincent van Gogh, Oskar Kokoschka, Max Beckmann, Marc Chagall, Franz Marc, Käthe Kollwitz – und dicht an dicht in der Ausstellung »Entartete Kunst« aufgehängt. Im Zusammenhang mit plakativen Überschriften – »Der Neger als Rasseideal« – sollten primitive Ressentiments gegen die moderne Kunst mobilisiert werden. Beweisbar ist es nicht, aber höchstwahrscheinlich waren unter den zwei Millionen Besuchern dieser Ausstellung viele Kunstfreundinnen und Kunstfreunde, die schweren Herzens und fassungslos durch die Ausstellung in der Galeriestraße gingen. Für sie waren die Bilder dort nicht »entartete«, sondern große, wahre Kunst, wahrscheinlich letztmals öffentlich sichtbar. Sophie Scholl hat die Fahrt nach München nicht mehr erwähnt; so muss offen bleiben, ob sie die Ausstellung »Entartete Kunst« wirklich besucht hat.
    Zu folgern, dass ein Gegner des nationalsozialistischen Regimes war, wer moderne Kunst schätzte, ist jedoch ein Trugschluss. Sophie Scholl differenzierte – zwischen ihrem Einsatz für die Volksgemeinschaft als Führerin der Jungmädel im nationalsozialistischen BDM und ihrem stilsicheren Geschmack, sei es in Literatur oder Malerei. Über die Qualität eines Gedichtes oder eines Romans entschied nicht das Partei-Buch, da ließ Sophie Scholl sich nicht blenden. »Im Deutschen lesen wir gerade ›Die Entscheidung‹ von Gerhard Schumann. Du weißt ja, dass ich ihn nicht mag. Na ja, es gibt eben Schema …«, schrieb sie im Mai 1939 an eine Freundin. Gerhard Schumann, 1911 geboren und 1930 in die NSDAP und SA eingetreten, gehört zu den mit Preisen und Ämtern überhäuften Vorzeigeschriftstellern im Dritten Reich. Seine Propaganda-Gedichte von »Führertum« und »Opfertod« als Unterrichtsstoff sind Sophie Scholl offensichtlich keine Auseinandersetzung wert – solange sie ungestört zu Hause und mit ihren Jungmädeln am Lagerfeuer neben der Edda auch Rilke lesen konnte.
    Von großer Entschiedenheit zeugt dagegen eine Tagebuch-Eintragung am 31. August 1937, nach der Rückkehr von der großen Sommerfahrt in den Böhmerwald: »Von der H. J. habe ich mich ohne mein Wollen ganz gelöst. Ich habe nichts mehr zu geben, nichts mehr zu nehmen … Hilde ist Assistentin von der Untergauführerin. Ich kann Hilde nicht verstehen.« Endlich erwähnt Sophie Scholl die Institution, die seit Jahren ihr Leben fast mehr als Familie und Schule

Weitere Kostenlose Bücher