Sophie Scholl
Kerzenschein, Fröhlichkeit und Liedern.« Dem Aufsatz hat Sophie Scholl zwei Verse von Manfred Hausmann vorangestellt: »Nun schlagt die Trommeln feste / für alles Glück und Gut. / Und schlagt sie auch mal leise / für unser junges Blut.« Für den Abschluss am »Jahresende« hat sie Zeilen von Rainer Maria Rilke, ihrem anderen Lieblingsdichter, gewählt: »Diesem neuen Jahr reichen wir unsre Hand. / Unser Sehnen muss sein: / Alle Gefühle zu finden, / die uns befrein.« Es gibt noch so vieles zu klären, hatte sie Fritz Hartnagel ins Weihnachtspäckchen geschrieben. Der Dichter weist den Weg.
Das neue Jahr beginnt, und noch kein Zeichen von Fritz Hartnagel. Aber die Fäden sind nicht abgeschnitten, denn am 25. Januar fragt Sophie Scholl bei ihm an: »Kommst Du am Sonntag? Inge möchte gerne nach Lorch … Aber das hat ja auch Zeit, bis noch mehr Frühlingswetter da ist …« Der Ton ist unaufgeregt, kein alberner Witz. Sophie Scholl liegt anderes auf dem Herzen: »Was möchtest Du an mir haben? Du sollst mir das bitte sagen, weil ich mir ja selbst gar nicht im klaren bin. Verstehst Du, ich bin nicht unabhängig von Dir, was ich ja sein sollte und sein möchte, denn es wäre für uns beide doch befreiender.« Sie hat eine Menge nachgedacht, und ihr ist manches klarer geworden, vor allem, dass ihre Gefühle für Fritz Hartnagel auf Kosten ihrer Unabhängigkeit gehen.
Trotzdem macht sie ihm keine Vorwürfe, sondern bekennt sich zu ihrer eigenen Zerrissenheit und bittet um Nachsicht: »Ich bin so ein gräßlicher Egoist, aber egoistisch zu sein ist in dem Fall schwerer. Ob es richtiger ist, das sollst Du mir sagen.« Der Widerspruch ist schnell aufgelöst: Egoistisch zu sein und unabhängig zu bleiben, ist schwerer, weil sie damit gegen die eigenen Gefühle handelt. Und die spricht sie auch direkt aus: »Ich möchte Dich so gerne dahaben jetzt … Sei doch so gut und lasse mich nicht im Stich. Deine Sofie.« Kann ein Mensch sich mehr öffnen? Fritz Hartnagel antwortet nicht.
Sophie Scholl gibt nicht auf, wird nicht wütend, zeigt sich nicht enttäuscht. Am 25. Januar 1939 schreibt sie aufs Neue, um ihm zu sagen, »wie sehr ich auf einen Brief von Dir warte«. Sie hat keine Angst, sich schonungsloser als je zuvor in ihrer Schwäche zu zeigen. Sie will von ihm wissen, ob er eine Antwort »nicht mehr für nötig« halte, und fügt hinzu: »Ich so sehr, ich hänge ja davon ab. … Du darfst mich doch nicht einfach so hängen lassen.« Sie bittet ihn inständig, ihr vor Sonntag zu antworten. Am Briefende wird dieser Wunsch verständlich: »Ich freue mich auf nächsten Sonntag, bis Du kommst, ich freue mich auch sehr auf den Hohenstaufen. Obwohl ich nicht so sehr viel davon habe, wenn so viele dabei sind.« Steht nicht zwischen den Zeilen geschrieben, welche Antwort ihr Herz sich ersehnt? Dass ihre Aussage vom August 1938, sie fühle sich zu jung, für sie keine Gültigkeit mehr besitzt?
Sophies Brief kam am 1. Februar in Augsburg an. Noch am gleichen Tag antwortet Fritz Hartnagel. Er habe nicht gewusst, wie er ihr antworten solle, weil er nicht auszudrücken wisse, was er selbst nicht begreife: »Ich weiß nur, dass es etwas Großes und Schönes sein muss, das mich bewegt! Ich kann das nicht zergliedern und definieren, denn es ist ein Ganzes, es ist nicht dieses oder jenes, sondern alles. Was ich von Dir haben möchte? Nichts Sofie, gar nichts – nur, was Du mir schenken magst und kannst. Ich will es wahren als mein Heiligstes.« Nun ist es gesagt, und diese Worte werden für Sophie Scholl alles Schweigen aufgewogen haben. Dann offenbart Fritz Hartnagel, der vier Jahre ältere, seine eigenen Ängste: »Nur ob ich Dir wirklich etwas geben kann, ich habe manchmal schreckliche Minderwertigkeitsgefühle Dir gegenüber.« Ein Gefühl, das wahrscheinlich dazu beigetragen hat, dass er seine Antwort immer hinauszögerte. Er, der so lange geschwiegen hat, lässt nichts mehr offen: »Ich wüsste nicht, wie die Woche vergehen würde, wenn ich nicht die Freude auf einen Sonntag hätte, den wir gemeinsam verbringen. Gute Nacht! Dein Fritz.«
Nach fast fünf Monaten, in denen Sophie Scholl beim Nachdenken über ihre Beziehung zu Fritz Hartnagel, hin und her gerissen wurde zwischen Verstand und Gefühl, müssen diese Worte wie eine Befreiung für sie gewesen sein. Sie muss nicht mehr abwägen, nicht mehr ihre Gedanken mit Vorsicht ummänteln und antwortet ihm: »Ich bin ja so froh, dass ich mich bei Dir gehen lassen kann, man hat
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