Sophie Scholl
Weihrauch, Dunkelheit und Kerzenschein.
Wenn du dann diese trüben Stunden hast,
gehst du herein zu mir mit deiner Last.
Du senkst den Kopf, die große Tür fällt zu.
Nun sind wir ganz alleine, ich und du.
Ich streichle dich mit Dämmerung und Rauch,
ich segne dich mit meiner Ampel auch.
Ich fange mit der Orgel an zu singen …
Nicht weinen, nicht die Hände heimlich ringen!
Hier hinten, wo die beiden Kerzen sind,
komm, setz dich hin, du liebes Menschenkind!
Glück … Unglück … alles ist von Schmerzen schwer.
Sei still, versinke, denk an gar nichts mehr!
Die Wölbung oben summt, die Kerzenflammen
schimmern so lautlos hinter dir zusammen.
Vom Orgelfuß die Engel sehn dir zu
und flöten süß und lullen dich zur Ruh.
Ich möchte eine alte Kirche sein
Voll Weihrauch, Dunkelheit und Kerzenschein.
Wenn du dann diese trüben Stunden hast,
gehst du herein zu mir mit deiner Last.
Eine vielfältige Botschaft des Trostes ist das. Sie gilt der fünfzehnjährigen Freundin, die mitten in der Pubertät ist und all jene extremen Stimmungsschwankungen erlebt, in denen sich die siebzehnjährige Sophie Scholl gut auskennt. Sie spricht aber auch sich selber Trost zu, denn die »trüben Stunden« des Dichters hat Sophie Scholl in ihrem Brief aufgenommen und als »trübste Stunden« auf sich bezogen. Nicht der Wille hat in diesem Brief von Sophie Scholl das letzte Wort, sondern ein Gedicht, das der Sehnsucht nach »Weihrauch, Dunkelheit und Kerzenschein« Raum gibt. Damit verschiebt sie am Ende die Gewichte, hin zu einem Menschen, der einen »ganz versteht und kennt und tröstet«. An diesem 10. November 1938 ist die Entscheidung noch offen, so sehr sich Sophie Scholl in ihrem Brief an Fritz Hartnagel Klarheit wünscht. Sie schreibt eben nicht: Es ist Schluss, was mich betrifft …
Am 22. Dezember stellt Sophie Scholl ein Päckchen zusammen: »Lieber Fritz! Hoffentlich kannst Du auch auf Deiner Bude einen recht schönen Weihnachtsabend haben. Zünde die Wachskerze an, die ich Dir mitschickte, sie riecht wunderbar. Das macht dann schon etwas aus, nicht?« Und dabei bleibt es nicht. Sie schickt ihm kein Gedicht von Manfred Hausmann – nein, gleich das ganze Buch. Sie tut es nicht verschämt wie nebenbei, sondern mit Worten, die tief in ihr Herz blicken lassen: »Die Gedichte von Manfred Hausmann habe ich sehr lieb, und schicke sie deshalb Dir. Du sollst sie öfters lesen, bis Du Dich in seinen Ton hineingefunden hast. Sie berühren Dich sonst vielleicht nicht. Die mir gerade am besten gefallen, habe ich angestrichen … Ich möchte sehr gerne dabei sein, wenn Du sie liest. Überhaupt möchte ich Dich gerne ein bisschen alleine haben. Es gibt noch so sehr vieles zu klären.« Wenn Fritz Hartnagel das als eine Liebeserklärung gelesen hat, dann hat er recht daran getan. Auch wenn es die Verwirrung bei ihm noch gesteigert hat. Er weiß, wie kostbar Sophie Scholl Bücher sind. Nun erhält er eines aus ihrer kleinen Bibliothek, noch dazu von ihrem Lieblingsdichter, als Unterpfand von Sophies Gefühlen, in der Hoffnung, dass er gleichermaßen davon berührt wird und dass auch das Ungeklärte überwunden werden kann.
Sophie Scholl wird Weihnachten zu Hause sein, und auf das Skifahren und die Berge freut sie sich auch sehr. Hans Scholl wird Weihnachten nicht in Ulm sein; es ist »ekelhaft«, schreibt er den Eltern am 18. Dezember aus Tübingen. Er tut dort Dienst im Reservelazarett, eine Voraussetzung, um 1939 mit dem Medizinstudium beginnen zu können. Für die geplante Skitour über Neujahr mit den Geschwistern hat er jedoch Urlaub bekommen und schickt seine Wünsche vorweg: »Werner möchte ich ans Herz legen, dass er um die Skiausrüstung besorgt sein möge. Alle Skier müssen vom alten Dreck ganz sauber abgekratzt werden und dann frisch geteert werden. Die Riemen einfetten usw. Das andere wird Inge schon regeln.«
Das »andere« ist die Hütte, die für den Aufenthalt gemietet werden muss. In Sophie Scholls mehrfach zitiertem Schulaufsatz über »Kleine und große Feste im Jahreslauf« spiegelt sich auch der Jahreswechsel 1938/39 mit den Geschwistern: »Es kann sein, dass wir das Ende des Jahres in den verschneiten Bergen verbringen dürfen, ein kleiner Kreis von Menschen, die einander nicht fremd sind. Innerhalb dieses so engen Kreises wird der Jahresabend gefeiert, wie es sich gehört: mit einem dampfenden Topf in der Mitte, voll wohlschmeckenden Inhalts, mit
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