Sophies Kurs
marsianisch ein paar drängende, vorwurfsvolle Worte an den Priester. Der Priester antwortete ihm in scharfem Ton, doch aus seiner Antwort klang Unsicherheit. Der Mönch legte mir die Hand auf die Stirn und begann zu beten. Seine Lippen bewegten sich zwar, aber kein Laut drang aus seinem Mund. Der Priester schlurfte heran und holte seinen Schlüssel hervor. Er schloß meine Fessel auf, und der Mönch hob mich hoch.
»Lassen Sie mich herunter«, bat ich, denn ich wollte auf meinen eigenen Füßen stehen. Der Priester runzelte die Stirn und machte eine Bewegung. Der Mönch ließ mich los.
Meine Beine waren ziemlich schwach. Ich taumelte nach hinten und stützte mich mit der Hand an der Wand ab, um nicht zu stürzen. Die jungen Engel im Verlies starrten mit großen Augen verständnislos zu mir herüber. Ich zeigte mit dem Arm auf sie und sagte: »Sie auch!«
Hastig antwortete der Mönch:
»Tais-toi, mon enfant
– nur du, meine Kleine.« Damit ergriff er meine Hand, schlug wieder das Kreuzzeichen und segnete auf lateinisch alle Anwesenden. Eilig drängte er mich durch das Tor und den Gang entlang.
Während wir die Treppe hinaufstiegen, fragte er mich in gebrochenem Englisch, wer ich sei und wo ich herkäme. Ich antwortete, mein Name sei Sophie Clare, wollte ihm aber weiter nichts verraten. Er stellte sich als Frère Lambert vor und sagte, er sei mein Freund. Dann gab er mir Nitrox und ein paar Trauben – die köstlichsten Früchte, die ich je gekostet habe. Er hob mich auf sein Muli und brachte mich sofort aus der Stadt heraus, ritt mit mir den ganzen weiten Weg zum Konvent von S. Sébastien, wo er mich in die Obhut von Mutter Lachrymata und ihren Wehklagenden Schwestern gab.
Dies war aber nun kein Arrangement, das meinen Gefallen fand. Ich argumentierte, bettelte, jammerte laut. Auf englisch sagten sie mir, ich solle still und dankbar sein. Doch ich trat um mich und schrie laut, und sie peitschten mich aus und steckten mich in eine Zelle. Ich weinte laut und bettelte und forderte, zur Erde zurückgeschickt zu werden. Ich erzählte ihnen, ich sei die Tochter eines reichen Mannes, der ihnen eine große Belohnung zahlen würde. Ich erzählte ihnen, die Soldaten meines Vaters würden aus dem gelben Himmel herabsteigen, um sie zu erschießen. Ich hätte ebenso gut einem Meilenstein ein Liedchen vorpfeifen können, wie die Iren sagen. Sie wollten nichts anderes, als daß ich auf die Knie sank und betete.
Nachdem ich drei Tage ohne Essen gebetet hatte, steckten sie mich in ein Kleid aus Kaktusfaser, brachten mich zu Mutter Lachrymata und sagten, ich solle sie um Vergebung bitten. Ich bat sie um Vergebung. Sie gaben ihr den Ring, den sie an meinem Hals gefunden hatten, und sie befragte mich dazu in Englisch. Dabei nannte sie mich Sophia. Mir war es gleich. Ich erzählte ihr, daß der Ring meiner Mutter gehört habe – und kein Wort mehr. Mutter Lachrymata erklärte mir, sie würde meine Pastillen in Verwahrung nehmen und sie an mich austeilen – eine täglich. »Wenn sie aufgebraucht sind, Sophia, wirst du lernen, diese Luft zu atmen«, erklärte sie. »Sie wird dir ausgesprochen gut tun.« Danach brachten die Schwestern mich weg, schoren mir den Kopf und ließen mich zusammen mit den anderen Mädchen arbeiten – zumeist Waisen, die sie aufgenommen hatten, damit sie die Gebete, Französisch und Latein lernten.
Vater Matthieu, mein Beichtvater, trug mir auf, meinen Platz mit willigem Herzen zu akzeptieren. Mit strengen Worten erinnerte er mich daran, daß Der Herr mir Seinen Diener gesandt hatte, um mich vor den Zähnen des Ungeheuers zu erretten.
»Und was ist mit all den Engeln?« hielt ich ihm mürrisch entgegen. Er lud mich dazu ein, ihrer Seelen in meinen Gebeten zu gedenken.
Ich verlor die Beherrschung und sagte, ich wünschte, der Gott der Marsianer hätte mich verschlungen. Ich sagte, ich hätte es vorgezogen, in diesem Loch aufgefressen zu werden, als in dem anderen hier zu verrotten. Ich glaube, dabei habe ich solange gegen die Trennwand des Beichtstuhls getreten, bis sie kamen und mich wegzerrten. Wieder wurde ich bestraft und dazu verurteilt, mir die Barmherzigkeit von
Le Bon Dieu Tout-Puissant
zu erflehen. Sicher war in ihrer Organisation kein anderer aufzutreiben, denn vermutlich hatten sie bei all ihren Regeln und Vorschriften dafür keinen Platz mehr.
In S. Sébastian wußten sie sogar mehr über Gott als Mrs. Rose. Es waren drei Gestalten, die Er sein konnte. Keine davon war ein großes graues
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