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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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ihn den Pfad vor uns hinunterzugeleiten. Dabei schien es mir wichtig weiterzureden, damit er nichts sagen konnte, das ich nicht hören wollte.
    »Ich nehme an, Signor, da Sie, wie ich gehört habe, aus Italien kommen, wo der Papst wohnt, daß Sie die Geschichte aus der Bibel kennen, in der Satan Jésus auf einen Berg wie diesen mitten in der Wüste mitnimmt und ihm sagt, er könne den ganzen Planeten haben, wenn Jésus vor ihm niederkniet.«
    Vielleicht hätte ich mir eine passendere Geschichte überlegen sollen. Jedenfalls konnte ich mit dieser seine Erregung nicht besänftigen. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich wie durch eine mysteriöse Gefühlsregung, und die Augen schienen ihm fast aus dem Kopf zu fallen.
    »Sie sind sehr amüsant, Miss Clare«, war alles, was er sagte.
    »Lassen Sie mich vorangehen, Sir«, erbot ich mich und begann den Abstieg. Er folgte mir schweigend. »Keine Sorge, Signor Pontorbo, wir werden nicht abstürzen«, sagte ich laut. »Und wenn, wissen Sie, was wir hier dann sagen, Signor?«
    »Amüsant, aber nicht gerade ermutigend, Miss Clare«, brummte er.
    Ich hörte, wie sein Stiefel ein paar Inch über meinem Kopf vom Fels abglitt. Erschrocken fuhr ich herum, aber er hatte wieder festen Halt. Ich lachte erleichtert. »Wir sagen, wenn dich die geflügelten Leute nicht kriegen, fressen dich die
kiiri! «
    Diese Aasfresser, diese schrecklichen dürren Wesen mit ihren Greifklauen und Flügeln wie schuppige Regenumhänge waren meiner Ansicht nach die wirklichen Engel vom Mars, nicht Thérèse und Gaston. Die
kiiri
sind die wahren Boten Gottes. Während ich noch darüber nachdachte, hörte ich das Schlagen breiter Schwingen näher kommen und schaute auf. Natürlich war es Gaston, der zurückgekommen war, um mich in seinen Armen davonzutragen – was er auch tat. Obwohl ich lachend protestierte und mit den Fäusten auf seine Brust und Schultern einschlug, ließ er Mr. Pontorbo einfach auf dem Felsen zurück.
    »Gaston, laß mich herunter! Mir geht's gut, ich brauche keine Hilfe. Gaston, nein! Hilf Signor Pontorbo, nicht mir!« Aber die Felsnadel entschwand schon in der Ferne. Taub von Gastons lauten Flügelschlägen winkte ich dem Italiener zu und rief: »Auf Wiedersehen, Signor Pontorbo. Wir sehen uns morgen – zur gleichen Stunde.«
    Aus irgendeinem Grund brachte Gaston mich nicht nach Hause, sondern setzte mich bei Thérèse ab, wo die beiden sich über die Reste von einem Tier, das früher mal ein Hund gewesen sein mochte, hermachten. Sie boten auch mir davon an, aber ich war zu nervös, um etwas essen zu können. Thérèses jüngste Brut, noch gelb und dürr, kroch schläfrig übereinander her und quietschte wie eine ungestimmte Geige. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es sein mochte, selbst ein Baby zu haben, ein Wesen in dir zu tragen, das beständig wuchs und dann irgendwann herauskam. Ich fand es schrecklich und fragte mich, warum Thérèse es so oft zuließ.
    »Es war nicht schön von dir, Gaston, den armen Signor dort oben allein zurückzulassen. Du mußt sofort zu ihm und ihn holen. Sofort.«
    Gaston kümmerte sich nicht um meine Worte.
    Ich saß am Rand der Felsplatte, ließ meine Beine in den Abgrund baumeln und sah zu, wie ein Stern am Himmel aufging. Ich wußte, es war kein Stern, sondern der Mond Deimos. Phobos und Deimos, Furcht und Schrecken, immer kreisend. Thérèse unterhielt sich krächzend mit Gaston darüber, ein paar Pelikane zu erwürgen.
    »Thérèse, was hältst du von diesem Mann?« unterbrach ich sie grob. »Von Signor Pontorbo.«
    Sie drehte sich zu mir um, kniff die Augen zusammen und gab ein seltsames Geräusch von sich. Dann begann sie wieder mit Gaston zu streiten, der sich den besten Bissen Fleisch geangelt hatte. Damit war das Thema erledigt.
    Am nächsten Morgen traf ich den Italiener wie verabredet am Fuß des Felsens. Er sah sehr müde aus, als ob er in der Zwischenzeit kaum ein Auge zugetan hätte. Trotzdem machte er eine elegante Verbeugung. »Guten Morgen,
signorina.«
    »Guten Morgen, Signor.« Plötzlich empfand ich eine große Scheu.
    »Ich hoffe, der Engel hat Sie sicher nach Hause getragen.«
    Ich nickte nur.
    Signor Pontorbo schaute in den Himmel hinauf, doch kein Engel war im näheren Umkreis zu sehen. Der junge Mann musterte die Umgebung und sagte zu mir: »Kommen Sie, ich muß Ihnen etwas zeigen.«
     

KAPITEL XVI
...in dem ich mein Schicksal erneut
den Winden anvertraue
    Ich sehe ihn noch vor mir mit seinen buschigen Brauen und der

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