Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
Vom Netzwerk:
befand, an dem er ihn vermutet hatte, keine Zeit mehr für den Mont Royal.
    Er tat mir leid. Obwohl der Canyon inzwischen mein Zuhause war, war auch ich hier einst ein Fremder gewesen. Ich wußte, daß es manchmal schwierig war, sich zu orientieren. Um ihn zu trösten, sagte ich: »Ich würde sehr gern Ihre Bilder sehen, Sir. Wenn ich so kühn sein darf.«
    Ich merkte, daß er darüber erleichtert war, weil meine Worte ihn aus seinem Dilemma retteten, welches immer es auch sein mochte. Mit einem leisen Lachen und einer kleinen Verbeugung nahm er den Zeichenblock mit der Unterlage aus Horn aus seinem Tornister und gab ihn mir.
    Nun, ich verstand überhaupt nichts vom Zeichnen und noch weniger vom Malen, selbst nicht nach den Lektionen, die mir Mr. Cox beim Abstauben seiner Bilder auf der
Unco Stratagem
gehalten hatte. Trotzdem kam mir irgend etwas an Signor Pontorbos Bildern falsch vor, als ich jetzt seine Zeichnungen durchblätterte. Sie waren sehr energisch und wild – und bei vielen konnte man daher nicht einmal mehr erkennen, was sie überhaupt darstellten.
    »Dies sind nur Grobentwürfe, Miss Clare,
naturalmente«,
sagte er dann auch mehrmals. »Lediglich Ideen.« Doch sagte er dies mit vorgerecktem Kinn und geschwellter Brust, und ich verstand sofort, daß er sehr stolz darauf war. Ich fragte mich daher, ob er ein ziemlich schlechter Maler war, oder ob ich unwissender war, als ich angenommen hatte.
    »Darf ich mir Ihren Ring anschauen, Signor?« fragte ich, um ihn dadurch von diesem Thema abzubringen –wie ich es immer bei Papa gemacht hatte. Ich hatte den Ring bemerkt, als er damals den Wein öffnete. Ringe interessierten mich, und im Moment war jedes andere Thema besser als ein Gespräch über seine Zeichnungen.
    Er spreizte die Hand, um ihn mir zu zeigen. Es war ein glatter Siegelring aus Gold ohne jede Gravur. Was er für hübsche Hände hat, dachte ich – so weiß, schlank und fein.
    »Der Ring gehörte meinem Vater«, erklärte er mit hoher, gleichmütiger Stimme. »Ich verschwende nie einen Gedanken daran.«
    Ich berührte das Schmuckstück – und berührte auch gleichzeitig seinen Finger. »Sollte er hier nicht zumindest die Initialen tragen, Sir?«
    Er schnaubte leise durch die Nase und überhörte meinen Vorschlag. »Er bekam ihn von seinem Vater, und der wiederum von seinem. Nein, keine Initialen.«
    »Früher hatte ich auch einen Ring. Er gehörte meiner Mutter. Mutter Lachrymata hat ihn mir abgenommen. Ich habe danach gefragt, als ich den Konvent verließ, aber sie redete nicht mit mir.«
    Der Körper des jungen Signor schien sich plötzlich zu straffen, als ob ihm die Luft abgeschnürt worden sei, und wieder konnte ich feststellen, wie neu er noch auf dem Mars war. Ich wollte ihm eine Pastille geben, doch er lehnte ab. Er fragte lediglich: »Und hatte er Initialen – der Ring Ihrer Mutter?«
    Ich beschrieb ihm das Schmuckstück. »Er war aus Gold und hatte einen eingefaßten kleinen Kristall, in den ein winziges Zeichen eingraviert war – ein menschliches Auge und darunter ein Pfeil wie in einem Kompaß.«
    »Tatsächlich«, meinte er nur und betrachtete wieder die Aussicht. Die Hände hielt er dabei hinter dem Rücken verschränkt.
    »Es hatte Ähnlichkeit mit dem Wappen, das die Piloten-Gilde benutzt.«
    »Tatsächlich«, wiederholte er nur. »Tatsächlich.« »Signor – geht es Ihnen gut? Meinen Sie, wir sollten jetzt hinuntersteigen?«
    »Nein!« rief er barsch.
    Seine Augen, sonst so klar wie Weidenteiche, hatten sich verdunkelt, als ob Wolken am Himmel aufgezogen seien und entfernter Donner heranrollte. Ich empfand plötzlich Furcht und wollte vom Gipfel herunter.
    Der junge Mann seufzte plötzlich. Er sah erschöpft aus, schien sich sehr nach etwas zu sehnen. Aber ich konnte mir nicht denken, was das sein könnte. »Ja«, sagte er, »ja, bald müssen wir hinuntersteigen. Bald.«
    Er kam mir nun wirklich sehr merkwürdig vor, und ich fragte mich, wieso all die Herren so aufgeregt wurden, wenn die Sprache auf meinen Ring kam.
    »Ihr Gesicht«, sagte er. »Ihr Gesicht – in diesem Licht.« Er hob die Hand, als modelliere er meine Wangen in die Luft. »Signorina, würden Sie mir die Ehre erweisen – mir gestatten, Sie zu malen?«
    »Jetzt?«
    »Nein. Nicht jetzt. Jetzt ist das nicht möglich. Aber würden Sie morgen wieder hierherkommen? Um dieselbe Stunde. Morgen ist ein neuer Tag.« Und dabei lächelte er so grimmig wie ein Löwe.
    Ich führte ihn am Gipfel entlang und versuchte,

Weitere Kostenlose Bücher