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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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braunen Augen voller Anteilnahme und Wärme. Ich gebe zu, ich begann mit ihm zu spielen, weil ich wußte, daß er alles genau beobachtete –ich könnte ja vielleicht eine aufgeschlitzte Wurst mit Genuß verspeisen. In dem Moment, in dem er nach etwas griff, um es mir zu servieren, verschmähte ich es und schaute sehnsüchtig zu meiner Tasse hin. »Möchte Miss Farthing etwas Wein?«
    Ich hockte mürrisch und mißgelaunt an meinem Platz: »Nein, Signor, ich möchte keinen.«
    »Vielleicht nur ein ganz klein wenig? Er wird die warme Sonne Neapels in Ihr trauerndes Herz tragen.«
    Nein, ich wollte nichts davon hören.
    »Aber sehen Sie doch – der Wein ist so hübsch und dunkel und stark wie die Augen der
signorina.«
    Verwundert hob ich diese Augen und sah ihn an, senkte den Blick aber sofort wieder auf meine Pfanne. »Also schön, dann machen Sie schon«, murmelte ich und zog ein finsteres Gesicht. Beinahe hätte ich ihm ein Lächeln geschenkt.
    Er verhielt sich völlig absurd – als sei ich nicht in der Lage, selbst etwas zu tun. Er wollte alles für mich tun, und ich sollte ihm dann ganz gerührt danken. Er verachtete den Primitiven mit der Keule. Aber bearbeitete er mich nicht ebenso – mit seinen Schmeicheleien – seinen Allüren – mit seiner Dummheit, wenn ich ihn befragte ...?
    Nein, dumm war er nicht. Er war schnell und scharfsinnig und klug. Ich war es, die dumm war. Ich hatte zu viele seiner Aufmerksamkeiten genossen, und jetzt war mir davon schwindlig. Wenn er keine Zeit hatte, mußte ich ihn mir regelrecht angeln, doch wenn ich ihn endlich hatte – und eigentlich war er leicht zu fangen –, dann war er mir plötzlich einfach zuviel. Dann verachtete ich mich selbst für mein idiotisches Verhalten und trieb mich selbst in den Schmollwinkel. Ich war wie ein sturer Eiszapfen. Mein Vater war erst kürzlich gestorben, und ich benahm mich wie ein kleines, unwissendes Mädchen.
    Der große Schauspieler, der auch ein großer Maler war, versuchte mich zu überreden, unter Deck zu bleiben, damit er sein Bild beenden konnte. Aber ich hatte entschieden, daß er nicht in allem seinen Willen haben sollte. Ich rief mir wieder die großen Triumphe meiner Lehrzeit an Deck der
Stratagem
in Erinnerung und redete fachmännisch vom Fieren und Spleißen, wobei ich einen schwierigen Knoten knüpfte, ohne dabei auch nur einmal auf die Hände zu schauen – kurz gesagt, ich bedrängte ihn, bis er keine Argumente mehr fand, um bei seinem Nein zu bleiben. Bruno und ein brummiger Captain Andreas erklärten mir die Arbeit in den Tauen, und auch die Caspars halfen dabei. Trotzdem erwies ich mich nicht gerade als große Hilfe. Die Arbeit war verdammt schwer! Tatsächlich war ich dort draußen inmitten des gefrorenen Sternenschwarms nicht besser aufgehoben als unter Deck. Ich hatte eben kein Geschick darin, mit einem Blasebalg zwischen den Knien herumzureiten und an Segeln zu zerren, die kein Gewicht hatten. Wie oft sah ich Captain Andreas verzweifelt in seinem Bart wühlen oder die Faust schütteln und mich durch die Verglasung der Brücke lautlos verfluchen. Wie oft wurde ich von einer plötzlichen unsichtbaren Woge gegen das Schanzkleid geschleudert! Als wir den Orbit von Mars passierten, bestand mein Körper nur noch aus Prellungen und Blutergüssen.
    Meine letzte Schande erlebte ich, als Captain Andreas mich mit einem teuren Werkzeug an Deck schickte. Das Gerät glitt mir aus der Hand und fiel über Bord. Selbst die Blauen Jungs waren nicht schnell genug, es zu fangen. Wir hingen dort oben und sahen hilflos zu, wie es gemächlich davontaumelte, wobei sein Stahlkopf bei jeder Drehung das Sternenlicht widerspiegelte, bis es schließlich in der Dunkelheit verschwand. Captain Andreas fluchte lautstark und verbannte mich wieder nach unten.
    Danach ließen sie mich Wache schieben und in den Zwischendecks arbeiten, aber nach draußen an Deck durfte ich nicht mehr. Wenn die anderen viel zu tun hatten, mußte ich im Heck bleiben und durfte Mr. und Mrs. Caspar sowie ihrer Familie nicht ins Gehege kommen. Wenn es ruhig war, ließen sie mich das Winkeralphabet in Signalen und Worten lernen.
    Eine ganze Zeitlang schossen wir so glatt und problemlos durch die schwarze Stille – wie eine Yacht aus Eis um Mitternacht über ein gefrorenes Meer. Doch gab es manchmal auch etwas zu sehen. Ich sah Schiffe aus der Schweiz und aus Spanien. Ich sah die Bark
Archimedes
unter vollem Tuch, das Schanzkleid völlig verkrustet vom Kupferspat. Ich sah

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