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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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blutrünstigen Tage sind vorbei, und ich werde niemand mehr töten.«
    Für ihn mochte die Sache damit erledigt sein, für mich aber nicht. »Wie viele Leute haben Sie abgeschlachtet?«
    Er verzog irritiert den Mund. »Einschließlich des Engels?« fragte er.
    »Jede Person eingeschlossen.«
    »Fünfzig«, sagte er zögernd.
    »Fünfzig?« schrie ich.
    »Naturalmente,
wenn Sie Diener, Leibwächter und Polizisten mit einbeziehen wollen.« Dabei wedelte er mit den Händen, um die Fülle der Personen anzudeuten, die es nicht wert waren, mitgezählt zu werden. »Vielleicht fünfzig, vielleicht auch mehr ...«
    »Lügner!« rief ich. Ich hatte genug von ihm. Er machte mich krank - bis ins tiefste Innere.
    Ich sah, daß er rot wurde. Plötzlich waren die Schrammen und Schnitte, die er sich bei der Rasur beigebracht hatte, wieder deutlich zu sehen. Dann wechselte seine Gesichtsfarbe ins Purpur, und er begann seltsam zu lächeln. Er beugte sich vor und packte meinen Arm.
    Ich war sicher, ich hatte ihn verärgert. Und mir kamen wieder seine Worte in den Sinn, daß er mir niemals wehtun würde. Ich wußte, es waren nur Worte, schöne Worte. Darin war er gut.
    Ich spürte, wie ich mich innerlich gegen ihn verhärtete. Ich wollte sein Schiff zerstören und ihn damit untergehen lassen. Ich wollte ihm wehtun. Ich wußte auf einmal nicht mehr, wieso ich ihn jemals gemocht hatte.
    Aber er war nicht wütend. Er war verlegen. Verwundert und verlegen.
    »Sie haben recht«, meinte er und schüttelte zerknirscht den Kopf. »Diese alten Gewohnheiten. Miss Farthing. Ich entschuldige mich.« Er zog meine Hand zu sich heran und küßte sie. Ich beließ sie in seinem Griff - leblos wie ein toter Aal. Mit dieser Leblosigkeit wollte ich ihm klarmachen, wie sehr ich ihn verabscheute.
    »Es waren nur neununddreißig«, fuhr er fort und sah mich verwundert an. »Aber wie konnten Sie das wissen?
O cieli magnanimi!
Wie konnten Sie wissen, daß ich gelogen habe. In meinem ganzen Leben war niemand in der Lage, so etwas zu bemerken.« Und dabei lachte er unbeholfen.
    Ich entzog ihm meine Hand. »Schande über Sie!«
    Doch jetzt wurde Bruno ungeduldig. »Es war meine Aufgabe, meine Berufung. Ich wiederhole noch einmal,
signorina:
Ich bin ein großer Schauspieler gewesen. Die, die mich zu Gesicht bekamen, haben dabei nicht mich gesehen. Sie sahen einen Spieler, einen Chorknaben, oder den Pagen einer reichen Witwe. Andere wiederum wußten nicht, daß ich überhaupt vorhanden war. Alle, aber auch alle Leute wollen belogen werden. Lügen mögen wir am liebsten. Wir alle denken, wir sind unsterblich, nicht wahr? Nun, ich habe diese schöne Illusion geschürt, ich habe ihnen ihre Unschuld bewahrt. Sie wußten es nicht«, sagte er und betonte dabei jedes einzelne Wort.
    »Das haben sie mit dem Leben bezahlt«, meinte ich sarkastisch.
    Er nickte mit seinem großen Kopf und schnaubte wie ein Hengst, der ein hartes Rennen gegangen ist. »Das haben sie mit dem Leben bezahlt«, wiederholte er meine Worte.
    »Und das halten Sie nicht für eine Schande?«
    Jetzt bettelte er förmlich um Gnade.
»Signorina,
denken Sie doch nur an die Soldaten. Sie schlachten doch andere zu Dutzenden ab.«
    »Schande auch über sie!«
    »Miss Farthing, jetzt ist es genug. Ich bin das schlimmste und ekligste Giftinsekt, das je herumgeflogen ist – nicht wert, unter Ihren Füßen zertreten zu werden. Aber ich bitte Sie um eins – sagen Sie mir, woher wußten Sie, daß ich log.«
    »Ich habe es Ihnen vom Gesicht abgelesen.«
    Der große Schauspieler wurde so blaß wie eine Pastinake. Er zwickte sich in die Wange und schaute wie ein Dummkopf drein. »Mein Gesicht!« meinte er. »Ich habe ganz vergessen, daß Sie mein wahres Gesicht sehen konnten.«
    Beschämt ließ er sich nach oben treiben und scheuchte mich ebenfalls vom Bett. Dabei murmelte er: »Aber kommen Sie, Sie müssen etwas essen.«
    Meiner Meinung nach wollte er sich damit nur aus der Affäre ziehen. Aber ich war hungrig und des Streitens müde. Ich ließ ihn vorausgehen, und er kochte mir Suppe und eine Art gesüßten Weizenbrei. Dabei fiel mein Blick in der Kombüse wieder auf die Schüssel an der Wand, und ich senkte sofort den Blick. Wenn ich nur an dieses ausgeweidete Gesicht dachte, hätte ich ihn am liebsten mit einem seiner eigenen Messer aufgeschlitzt.
    Er bemerkte meinen Blick. Ich schwöre, er registrierte jeden Atemzug von mir. Die ganze Zeit bei der Zubereitung und nachher beim Essen betrachteten mich seine

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