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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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Fixanker. Ich kann Ihnen den Namen des Felsens nicht nennen, weiß nicht mal, ob er überhaupt einen hatte. Ich kann nur sagen, daß, wäre uns wirklich jemand gefolgt, er uns mit Leichtigkeit gefunden hätte. Für ihn wären wir wie eine fluglahme Ente gewesen in diesen Tagen, in denen wir mit nackten Masten und einer gebrochenen Spiere an unserem kahlen Basaltbrocken ankerten. Auch gab es nichts dort, das uns hätte erfreuen oder helfen können. Es gab keine Ziegen, Tauben oder eine der anderen Annehmlichkeiten, an denen sich Mr. Crusoe erfreut hatte. Dafür war die Strömung dort bestimmt so wild wie die Wellen des echten Meeres.
    Der Schaden beschränkte sich nicht nur auf den Mast und das Segel. Das gesamte vordere Ballongeschirr und die Pumpe für die Gaserzeugung waren zerstört worden und verlorengegangen. Es gab nichts, was wir dort tun konnten, und es dauerte lange, bis wir das neue Segel aufgezogen hatten, obwohl die Caspars sich redlich mühten. Doch zuvor mußte die Zimmermannsarbeit erledigt werden, und das war ein Alptraum. Man hatte das Gefühl, mit einem Gummihammer zu arbeiten. Der Captain war uns dabei keine Hilfe, denn er konnte kaum einen Nagel halten. Zwar behauptete er, es sei sehr schmerzlich für ihn, seinen Arm ruhighalten zu müssen, aber ich glaube, in Wirklichkeit hinderte ihn sein Stolz daran, uns zu helfen.
    Dieses Weihnachten war hart für Captain Andreas, bedingt durch die Verletzung, den Zorn und die Schmerzen – und durch seine Scham. Als es Zeit wurde, den Anker einzuholen und die neuen Segel zu setzen, konnte er nicht die richtige Auslauf-Strömung finden. Wir rollten im Raum herum und klebten steif an unserem Felsen wie ein Fisch an einem Stock. Captain Andreas lag vor der Glasfront der Brücke, hatte den Kopfreif der Piloten bis zu seinen Brauen heruntergeschoben und hielt die Augen geschlossen. Dabei schwitzte und fluchte er laut. Dann bat er um einen Drink, doch diesmal gab Bruno ihm nichts.
    Der Captain erinnerte mich an Papa, wenn er nach seinem Laudanum verlangte. Ich konnte seinen Zustand nicht lange ertragen. »Geben Sie ihm etwas, Sir«, bettelte ich. Doch Bruno bat mich in ausgesprochen höflicher Form, still zu sein. Er übernahm selbst das Ruder und rief mir die Signale zu, die ich geben sollte. Er hatte die Mannschaft die Mondsegel setzen lassen, was ohne Auftrieb eine nahezu unmögliche Aufgabe war, die sonnenwärts gerichteten Marssegel eingeholt, und hoffte so den Wind einzufangen – wie ein Betrunkener, der sich an einer Mauer aufzurichten versucht, indem er nach ihrem oberen Ende greift. Obwohl er mit fester Stimme und großem Nachdruck seine Befehle gab, wurde uns schon bald klar, daß er nicht die geringste Ahnung davon hatte, was er da tat. Schließlich zog der Captain den goldenen Reif vom Kopf und richtete sich oberhalb meines Platzes in seinen Halterungen auf. Mit einer Hand hielt er sich die gebrochene Schulter. Wütend sagte er etwas, aber ich konnte ihn ja nicht verstehen.
    »Was hat er gesagt?« fragte ich Bruno. Ich mußte zweimal fragen, ehe er mir antwortete.
    »Der Flux sei vorbei, sagt er.«
    Das war natürlich völlig unmöglich.
    Ich begab mich zu Captain Andreas und streckte die Hand aus.
»Ploiarche.
Lassen Sie mich mal versuchen.«
    Der Captain musterte mich mit dümmlichem Gesicht, obwohl ich ihm die Hand unter die Nase hielt. Auch Bruno schien nicht zu begreifen. »Lassen Sie ihn in Ruhe«, befahl er.
    Aus der Takelage schauten blaue Gesichter neugierig herüber. Sie warteten auf das nächste Signal. »Sagen Sie ihnen, sie sollen herunterkommen, Miss Farthing. Die Strömung ist gegenläufig.«
    »Lassen Sie es mich versuchen!«
    Verärgert und beleidigt fragte er: »Wovon sprechen Sie überhaupt?«
    »Ich kann den Flux sehen.«
    Ich glaubte wirklich, ich könnte es. Ich hatte so viele Male in die Dunkelheit hinausgestarrt, daß ich jetzt genau wußte, was dort draußen war. Ich dachte, der Flux verliefe wie ein Jodflecken tief im Innern der Dunkelheit – und wenn man mit äußerster Anstrengung hinsah, konnte man ihn sehen – Abermillionen winziger Nadelstreifen, dicht nebeneinander, und jeder Streifen vibrierte wie eine Geigensaite, aber viel schneller, als das Auge wahrnehmen konnte. Meine Augen schmerzten, mir hämmerte der Kopf, und die Haut begann zu prickeln. Wenn ich dann die Augen schloß, hatte ich das Gefühl, mein Kopf pulsiere im Rhythmus der Wellen.
    Ich ließ mir von Captain Andreas den Kopfring geben.
    Sofort schwebte

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