Sophies Kurs
Bruno heran und nahm ihn mir ab. »Nein,
signorina «,
sagte er mit ernster Stimme, als glaube er, ich wolle mir einen Scherz erlauben, um ihn aufzumuntern. »Das ist nichts für Sie.« Nichts für ein Mädchen, hieß das. Vermutlich war es das erste Mal seit seiner Erfindung, daß die Hand einer Frau diesen Kopfschmuck berührt hatte.
»Er kann ihn nicht benutzen!« rief ich und zeigte auf den benommenen Captain. »Er ist verwundet.«
Bruno schwebte zum Ruder zurück – ganz Pflichterfüllung und Dringlichkeit. Er war wütend auf mich, weil ich mich zu einem Plagegeist entwickelte. »Nur Piloten wissen damit umzugehen«, rief er und zeigte mit dem Ring auf Captain Andreas. »Er wirkt nicht bei Leuten, die nicht das nötige Talent haben. Sehen Sie!«
Er setzte den Reif auf den Kopf.
»Sehen Sie? Nichts!«
»Geben Sie ihn mir!« fauchte ich, sprang zu ihm hin, riß den Ring von seinem Kopf und setzte ihn mir auf.
Eine entsetzliche, durchdringende Übelkeit keimte in mir auf, als habe jemand mir mit einem Knüppel auf die Nieren geschlagen. Sie sank tiefer, durchdrang meine Knochen und ließ meine Zähne klappern. Im nächsten Moment aber verschwand mein Körper, und ich konnte sehen. Selbst wenn es um mein Leben gegangen wäre, hätte ich das Schiff nicht steuern können. Aber ich konnte sehen!
Bruno nahm mir den Ring vom Kopf. Ich bemerkte, daß ich mich krümmte und mir den Bauch hielt.
»Ich kann sehen«, protestierte ich, außer mir vor Freude, und strampelte wild mit Armen und Beinen. »Man braucht dazu kein Talent.«
Bruno machte ein grimmiges Gesicht. Seine Augen schienen noch tiefer in ihre Höhlen gesunken zu sein. Er hatte etwas erfahren, das er sich nicht eingestehen wollte, und deshalb übersah er es einfach. »Sie sind ein Mädchen«, sagte er – zögernd, wie ich glaube. »Sie wissen nicht, was Sie da tun.«
»Ich kann sehen, Bruno!« rief ich und versuchte, ihm den Ring wegzunehmen.
»Sie sehen nichts«, behauptete er und hielt mich mit dem Arm auf Distanz. »Bitte, Sophie, Sie machen die ganze Sache nur schwieriger als nötig.« Er gab dem Captain das Diadem zurück, der es sofort in seinem Spezialbehälter verschwinden ließ.
Bruno starrte in den Raum hinaus. Ich wußte, er sah nicht ein Zehntel dessen, was ich sehen konnte. Wie doch die Dunkelheit glänzte, wie die Sterne unter unserem Bug schimmerten. Wo der Flux von Felsen eingeengt wurde, die aufeinander zuflogen, war ihr Glanz härter. Und wie die Sterne auszuschwärmen schienen, wo die Felsen auseinanderdrifteten – leicht und locker wie die Funken eines Feuers. Das schwache Glühen in der Schwärze war ein trügerisches Licht, das das Schiff in den Untergang zog. Bruno mußte doch wissen, daß der Ort, den wir gewählt hatten, nicht sicher war. Und doch ließ er uns warten, immer nur warten, während die Felsen über unseren Köpfen dahintrieben. Warten auf eine bessere Tide, die niemals kommen würde.
Wir gingen nach unten. Ich folgte Bruno in den Salon. »Es wird nicht besser werden«, sagte ich.
»Wir müssen Captain Andreas vertrauen.«
Ich wußte, daß er zwar wütend auf den Captain war, sich aber noch mehr über mich ärgerte. Er ließ einfach nicht mit sich reden.
»Sir, er kann es nicht. Sie haben es doch gesehen.« »Er ist der Captain. Er ist der Pilot.«
»Er weiß nicht einmal, wo wir sind.«
»Das Wort des Piloten ist Gesetz. Nur ein Dummkopf würde sich darüber hinwegsetzen. Ich habe schon neununddreißig Leute umgebracht, wie Sie mir selbst ins Gedächtnis riefen«, fuhr er steif fort. »Ich werde keine weiteren mehr töten. Glauben Sie mir, Sophie, Sie können da überhaupt nichts tun.«
»Sie werden uns alle töten, wenn Sie es mich nicht versuchen lassen.«
Das wiederum fachte seinen Groll erneut an, und seine Stimme wurde lauter.
»Mi vogliate perdonare,
aber wenn ich das Schiff an Sie übergebe, wird das erst recht geschehen! Was verstehen Sie denn schon davon? Sie sind ein Mädchen.« Er hob die Hand und zählte meine Nachteile an den Fingern ab. »Sie sind zu jung, und Sie verstehen nichts von Schiffen, stimmt's? Was sind Sie denn schon in Ihrem Leben gewesen außer eine Dienstmagd für Mensch und Tier? Wie wollen Sie da ein Schiff führen können?
La mia piccola signora«,
sagte er bittend, »seien Sie doch vernünftig! Wie könnten wir von Ihnen Befehle annehmen?«
Das war also der wirkliche Grund. Nun denn, sollte er doch sein kostbares Schiff nebst seinem verwundeten Captain selbst
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