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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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vergangen. Danach machte er Tee für uns beide.
    Er war jetzt glücklich, sein Gesicht wieder braun, lebendig, lächelnd. Er sagte, endlich hätte ich ihm verziehen. Für diesen Trip würde es reichen, meinte ich, steckte mir eine Nitrox-Pastille in den Mund und spülte sie mit dem Tee hinunter. Dann sah ich ihm in die Augen. »Wir müssen losfahren. Sofort.«
    Er schien nicht davon überzeugt. Doch hatte ich einen Vorteil: Wenn ich sein Herz habe, dachte ich, hat er kein Herz mehr, mir zu widersprechen. Funktioniert das nicht so?
    Als wir auf die Brücke kamen, war Captain Andreas sinnlos betrunken. Die Whiskyflasche schwebte leer durch die Luft. Zwei Caspars trippelten über die Glaskanzel und warteten auf die Zeichen ihres Bruders am Signalgeber. Einer pochte ungeduldig mit seinem kleinen Helm gegen die Kuppel.
    Ich trat zu Captain Andreas und nahm den Goldreif aus seinem Behälter. Bruno sagte nichts. Schon als ich den Reif in den Händen hielt, spürte ich das Pulsieren in den Fingern – die harte und wechselhafte Musik der Sterne. Ich holte tief Luft und streifte ihn über.
    Sofort wurde es dunkel in meinem Kopf, und ich hatte das Gefühl, ein Engel habe mir in den Bauch getreten. Das Schiff – mit Bruno und der ganzen Mannschaft – war verschwunden. Ich schwebte allein und nach Atem ringend mitten in einer donnernden Flut unsichtbaren Lichts. Das Licht floß wie Wasser – mitten durch mich hindurch. Einen Augenblick lang spürte ich nicht mehr das Diadem, denn ich besaß keinen Kopf oder Körper, mit dem ich es hätte spüren können. Ich war nichts als ein Tropfen in diesem Aether-Tau.
    Aber – »Ich kann sehen!« hörte ich mich rufen. Der Flux drang durch meinen Kopf, brummte und zischte in Augen, Nase und Mund wie ein ganzer Packen Eisenfeilen. Ich sah nur den Flux, nichts sonst.
    Röchelnd und um mich schlagend hechtete ich in das Zentrum des Mahlstroms. Auch meine Arme sah ich nicht, konnte sie aber fühlen, wenn ich sie bewegte. Es war, als würde ich in den Flux hineingesogen. »Diese Richtung«, hörte ich mich selbst keuchen.
    Es war schrecklich – ich zitterte wie eine Magnetnadel in einem pechschwarzen Raum voller Dampfmaschinen. Ich begriff sofort, warum Captain Andreas den Reif nicht mochte.
    Ich nahm ihn ab, und sofort kam alles wieder in Sicht. »Dort drüben ist er stärker«, sagte ich schwitzend, wobei ich mit dem Arm immer noch die Richtung anzeigte. »Dort gibt es eine deutlich abgegrenzte Passage – wie ein ... ein ...« – mit dem Arm beschrieb ich einen Kreis – »... ein Trichter.«
    Erneut streifte ich mir den Ring über und verschwand wieder in diesem rätselhaften Aufruhr. Ich hörte Bruno lachen. »Dreht das Schiff«, rief ich. »Um zehn Strich nach Steuerbord.«
    Ich merkte sofort, wie wir herumschwangen. Ich spürte, wie mein Gesicht in die Strömung tauchte. Wahrhaftig – ich fühlte, wie sie mir mit leisen Nadelstichen durch Kopf und Körper drang. Mein Ich war ein einziges Wetterleuchten.
    Ich fand meine Nase und putzte sie. Dann versuchte ich, das Zähneklappern unter Kontrolle zu bekommen. »Ruder halten.«
    »Aye, aye, Ma'am«, rief Bruno fröhlich. Und Captain Andreas lallte einen Fluch.
     

KAPITEL XIX
Rückkehr zum Namen Perdita
    Gezogen von einem mächtigen Ochsen mit einem dicken, wolligen Fell rumpelten wir in einer Kutsche über die Tundra. Unsere Lampen waren das einzige Licht in diesem Reich des Nebels und der Dunkelheit. Ich drückte meine Wange an die Scheibe und versuchte, etwas von der Landschaft zu erkennen, sah aber nichts außer Schemen und Schatten, bis wir zwischen zwei gigantischen eisgrün gefrorenen Felssäulen hindurchfuhren, die wie ein übermächtiger Triumphbogen in das Dunkel hineinragten. Dahinter schälten unsere Laternen ein paar Monolithen aus der Nacht, enorme Brocken in Weiß und Guignetgrün, die langsam an unseren Augen vorbeiwanderten wie Grabsteine auf einem Friedhof für Riesen. Ruß wirbelte durch die Luft und hinterließ einen schwarzen Film auf den Scheiben.
    Ich dachte, es sei London. »Schau nur, Bruno«, sagte ich, »in einer Minute erreichen wir Oxford Street und fahren am Marble Arch vorbei zum Buckingham Palace.«
    Bruno tätschelte mir die Hand und lächelte leicht, sagte aber nichts. Sein Gesicht zeigte eine feierliche Miene.
    Ich mußte annehmen, daß weder das Gefährt noch das Tier von hier waren, ebensowenig wie der Mann, den ich wie eine Statue auf dem Kutschbock hocken sah. Er war dünn, hatte aber breite

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