Sophies Kurs
Schultern und trug eine Rüstung aus Metall und Leder. Wegen des schwarzen Eisenhelms auf dem Kopf konnte man sein Gesicht nicht erkennen, zumal er noch eine dunkle Kapuze darübergezogen hatte.
»Ich dachte, unser Besuch sei geheim«, sagte ich zu Bruno.
»Er überwacht jedes Schiff, das hereinkommt. Aber es stimmt, mit Ihnen rechnet er nicht.« Er nahm meine Hand, um mich zu beruhigen. Seine Augen schimmerten im Dunkel. »Ich schickte ihm eine Nachricht von Toussous aus – am letzten Morgen«, fuhr er leise fort, »und meldete ihm den erfolgreichen Abschluß meiner Mission.« Also schon, ehe er zum Canyon herausgekommen war. Aber inzwischen hatte ich mich schon daran gewöhnt, Dinge zu erfahren, die er mir vorher nicht erzählt hatte. Für ihn war ich also schon damals ein todsicheres Opfer gewesen. Und was wäre gewesen, wenn er nicht geschafft hätte, mich zu überreden? Wäre die Nachricht dann Wirklichkeit geworden? Sicher würde er dann meine Überreste an ihrem geheimen Grab im Ulsvar besuchen und eine Rose, noch naß vom Tau einer anderen Welt, in den Canyon werfen.
Ich schob die Hände in die Taschen. »Ist das nicht einer seiner Leute?« fragte ich und deutete mit einem Nicken zu dem Kutscher hinüber.
Ein seltsames Lächeln huschte über Brunos Gesicht. »Der da ist kein Mensch.
Di fatti,
es ist eine Maschine. Er besitzt viele solcher fortschrittlichen Maschinen. Er zieht sie echten Menschen vor.«
»Wer ist ›er‹?«
Bruno saß stur und unerbittlich neben mir. Also weigerte er sich immer noch, es mir zu verraten. Ich sah aus dem Fenster in den Nebel hinaus. Offenbar fuhren wir über einen Kamm zu einem Hochplateau hinauf. Ich sah nur Schluchten und Höhlen, Felsen und Geröll.
Plötzlich sagte Bruno leise: »Sein Name ist Mortimer, 28. Earl of Lychworthy.« Und dann sah er mich von der Seite an, als rechne er damit, daß ich jeden Moment in Ohnmacht fiele.
Ich schnaubte und zuckte die Achseln.
»Haben Sie nie von ihm gehört?« wollte Bruno wissen.
»Nein.«
Bruno fuhr mit der linken Hand die Naht des rechten Handschuhs entlang. Ich hatte ihn enttäuscht. Er würde jetzt nichts mehr sagen.
»Er ist der Hochmeister der Piloten-Gilde, nicht wahr?«
Bruno nickte. »Er war mein Patron«, meinte er leichthin. Doch ich wußte, daß es ihm nicht leichtfiel, darüber zu reden.
»Vermutlich ist er sehr reich.«
»Ihm gehört dieser Mond.«
Mir fiel ein, daß Mrs. Rodney immer gesagt hatte, über Geschmack ließe sich nicht streiten. »Vermutlich ist er auch sehr mächtig.«
»Wir müssen sicherstellen, daß Sie ihm nicht begegnen«, erklärte Bruno in einem Ton, der mir sagte, daß ich nun genug erfahren hatte, und das Thema damit für den Moment beendet sei.
Und ich sagte nichts mehr, obwohl ich über eine solche Begegnung meine eigenen Ansichten hatte.
Tatsächlich, liebe Leser, dachte ich: Wenn ich den Urheber meiner katastrophalen Existenz nur einmal treffen und mit dem Mann reden kann, wird alles anders. Mein Leid ist dann endgültig Vergangenheit. Ich werde alles verstehen, ich werde alles bekommen, all die Dinge, die ich niemals gehabt habe. Da fuhr ich hin, durch eine Welt aus Feuer und Eis, und hielt nach dem Weihnachtsmann Ausschau.
Ich spürte Brunos Blick auf mir ruhen. Ich wandte mich ihm zu – und merkte im gleichen Moment, daß er genau wußte, was ich dachte. Ich senkte den Blick und zog den Mantelkragen bis an die Ohren. Wie immer war ich verunsichert, wenn ich feststellen mußte, daß meine Gedanken nicht ausschließlich mir gehörten.
Obwohl wir inzwischen weit von dem Planeten entfernt waren, frißt sich der Sand vom Mars tief in die Seele, und seine Spuren verliert man nicht so schnell.
Nachdem wir die Asteroidensee hinter uns hatten, versuchte ich, Bruno aus dem Weg zu gehen. So oft wie möglich hielt ich mich an Deck auf und stolperte hinter Mr. und Mrs. Caspar her, die trotz ihrer winzigen Hände und kurzen Beine immer schneller waren als ich. Der Reif in der Takelung war schwarz und rauh geworden, und wenn einer von ihnen zu lange an einem Tau hing, konnte er sich trotz der Handschuhe die Finger verätzen. Aber immer war auch der kleinste der Caeruleaner trotz seiner winzigen Hände schneller und geschickter im Knotenlegen als ich.
Es gab unzählige Dinge, die ich, da ich nie eine Schule besucht hatte, nicht wußte. Captain Andreas unterrichtete mich ein wenig in Navigation, wobei er brummend seinen kleinen englischen Wortschatz zu Hilfe nahm. Wenn ich schon die
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