Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
Vom Netzwerk:

dunque,
ich wurde neugierig. Er wollte ein Buch aus dem Regal holen, und ich las rasch den Brief – mit auf dem Kopf stehenden Zeilen«, fügte er nicht ohne Stolz hinzu.
    »Sie haben Ihr Handwerk wirklich gründlich gelernt, nicht wahr?«
    Er lächelte entschuldigend und fuhr sich mit der Hand über den Pferdeschwanz. »Auf Deimos bekommt man beigebracht, als erstes herauszufinden, was der Patron niemanden wissen lassen will.« Er zog eine Grimasse. »Und hier geht es nicht nur um eine Sache, hier geht es um alles.« Er machte eine umfassende Bewegung zum Schreibkabinett hin, als würde jede Schublade überquellen von Infamien, alphabetisch sortiert und aufgelistet. »Aber das da«, und damit deutete er auf Mamas Brief, »das da war etwas anderes. Alles andere hier ist Geschäft. Das da verrät den Mann selbst. Ich wunderte mich schon, als er mich hinter Ihnen herschickte. Aber als ich Ihr Gesicht sah, war ich mir sicher. Sie wissen, wir Künstler haben einen Sinn für Gesichter.« Er legte den Arm um mich und beugte sein Gesicht zu meinem herunter. Seine Augen waren so dunkel wie der Londoner Himmel im Winter, wenn die Nacht schließlich doch nach zähem Ringen dem Tag weichen muß – und ich wünschte mir, wir wären dort, sei es auch in der schäbigsten Hütte am Fluß, oder sonst irgendwo, nur nicht hier auf lo, im Arbeitszimmer meines Vaters, Tausende von Meilen entfernt von jeglicher Hilfe oder Rettung.
    »Kommen Sie«, drängte Bruno, »wir haben uns schon viel zu lange in diesem Haus aufgehalten. Nehmen Sie den Brief mit, wenn Sie wollen.« Er lächelte breit und grimmig. »Ich denke, er ist ohnehin die einzige Erbschaft, die Sie machen werden.«
    Ich griff nach seiner Hand und schüttelte sie heftig, damit er mir zuhörte. »Wo ist er?« fragte ich. »Ich möchte ihn sehen.«
    Er zog mich an sich. »Seien Sie kein Dummkopf.« »Ich will ihn sehen«, beharrte ich. »Ich möchte mit ihm reden.«
    »Er kann Sie auf zehn verschiedene Arten umbringen, ohne sich dafür auch nur einmal aus diesem Stuhl dort erheben zu müssen!« Bruno zeigte auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch.
    »Und warum sitzt er dann nicht dort?«
    »Weil er glaubt, daß Sie tot sind. Er denkt, daß Fortescue in diesen Minuten unsere Überreste beseitigt.«
    »Ich verlasse diesen Raum nicht, ehe ich ihn nicht gesehen habe.« Mein Herz schlug wie ein Dampfhammer.
    »Dann wird mein Platz hier an Ihrer Seite sein«, gab Bruno zögernd nach.
    »Sie werden ihn nicht töten«, wies ich ihn an. Er wollte etwas sagen, doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Sie werden mich mit ihm reden lassen.«
    Bruno sah mich verbittert an. »Sie lassen mir keine andere Wahl, aber wir werden diesen Raum ganz bestimmt nicht mehr lebend verlassen.« Er sank vor mir auf ein Knie und preßte eine Hand aufs Herz.
»Carissima,
ich bitte Sie nicht, meinen Namen anzunehmen. Zu viele Generationen lang ist er mit dem Blut von Menschen besudelt worden. Aber,
signorina,
Sie, die Sie mich bekehrt haben – erfüllen Sie die Sehnsucht meines Herzens. Sagen Sie mir, Lady Sophrona Lychworthy, daß Sie mein sein werden.«
    »Lady Sophrona Lychworthy?« erwiderte ich entsetzt. »Das hört sich schrecklich an.«
    Hinter mir war plötzlich das leise Surren verborgener Räder zu hören, und eine laute, träge Stimme sagte: »Ich habe dich immer nur Perdita genannt.«
    Ich fuhr herum und sah, wie ein Teil der Bücherwand zur Seite glitt. Ein beleibter Herr in einem Hausmantel trat aus einem geheimen Durchgang. In der einen Hand hielt er eine Laterne, in der anderen einen Whiskybecher. Die Lampe sah aus wie die in Mr. Cox' Puppentheater; sie leuchtete ohne sichtbare Flamme. Lord Lychworthy hob sie etwas, um mich zu betrachten.
    »Vater«, sagte ich. Mehr brachte ich nicht heraus. Ich hatte plötzlich furchtbare Angst.
    Er stellte die Lampe auf den Schreibtisch. »Ich wußte immer, daß du irgendwo da draußen warst, kleine Perdita von St. Paul's. Ich wußte, daß du eines Tages auftauchen würdest.« Seine Stimme war rauh und dunkel, brodelte von unterirdischem Feuer wie der Trabant, den er sich als sein Zuhause auserkoren hatte. Brunos Imitation vorhin bei Fortescue war sehr zutreffend gewesen.
    Als das Bücherregal zur Seite rollte, war Bruno herumgefahren. Mit gespreizten Beinen stand er da und hielt die Schwerter des Dieners in seinen Händen. Doch der Hausherr trug seine bequemste Kleidung und war unbewaffnet – zumindest konnte ich keine Waffen erkennen. Es war schwer,

Weitere Kostenlose Bücher