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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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Feuerstelle, der tief hinunter bis in Ios geschmolzenes Herz reichte.
    Und überall Bücher – in Leder oder Leinen gebunden, Almanache, bekannte Journale, Rossingtonsche Tabellen in den verschiedensten Ausgaben und Formaten. Auf allen Regalen Bücher über Bücher, Akten und Kästchen, Dosen und sonstige Behältnisse – und wandhohe Schränke voller Schubladen. Trotzdem mußte Bruno nicht erst lange suchen, sondern zog sofort die richtige Lade auf. Ich erwartete, daß er etwas sagte, doch er schwieg und zeigte keinerlei Regung, als er mir das gefaltete Papier in die Hand gab.
    Ich entfaltete es und stellte fest, daß ich ein vergilbtes Blatt von einem Notizblock in der Hand hielt. Darauf war ein kurzer Brief geschrieben. Als Absender war lediglich ›St. Paul's‹ angegeben. Der Brief trug ein siebzehn Jahre altes Datum.
    Die Anrede war formlos, als ob der Schreiber nicht gewußt hätte, an wen er schrieb. Und so verfuhr er auch bis zum Ende des Briefes. Aber lesen und urteilen Sie selbst. Hier ist der genaue Wortlaut:
    Euer Lordschaft, ich habe nicht geschrieben, bis das Kind geboren war, weil ich Euch nicht belästigen wollte, solange es keinen Grund dafür gab. Selbst wenn ich mir dadurch Euren Zorn zuziehe, muß ich mich in unserer Not nun an Euch wenden. Ich bitte Euch, mir
zu
vergeben. Ich tue dies nicht für mich, auch nicht für die Erinnerung an unsere Zeit in den Mondgärten, sondern lediglich
zum
Wohl des Kindes. Ich versichere Euch, ich werde sämtliche Bedingungen akzeptieren. Das Mädchen ist gesund und wohlauf, wird aber noch keinen Namen tragen, bis ich Euren diesbezüglichen Wunsch erfahre.
    Eure bescheidene Dienerin.
    Ich konnte mir vorstellen, wie Mama geknausert und gehungert haben mußte, ehe sie sich dazu durchrang, diesen Brief zu schreiben, den sie, namenlos wie ihr Kind, nur mit ›M‹ signiert hatte.
    »Sie hat den Ring nicht erwähnt«, sagte ich.
    Bruno, der mich erwartungsvoll ansah, riß nun die Augen noch weiter auf. Erregt drückte er meine Schulter.
    »M?« flüsterte er.
    »Ihr Name war Molly.«
    »Und mein Meister?«
    »Er war auch ihrer«, sagte ich und hielt den Brief hoch. Lockiges rotes Haar, dachte ich und versuchte mir den Rest von ihr vorzustellen – nicht, wie ich sie in meinen Alpträumen gesehen hatte, sondern als Frau, in ihrem Leben. Ich hatte mich oft gefragt, wie sie wohl gesprochen haben und was ihre letzten Worte an mich gewesen sein mochten. Doch Mrs. Rose konnte sie mir weder beschreiben noch sich an ihre letzten Worte erinnern. Und auch aus diesem Brief ließ sich nichts derartiges schließen. Ich erinnerte mich daran, wie gern die Matrosen mich ihre Briefe nach Hause schreiben ließen, voller Höflichkeitsfloskeln, zu denen sie sich verpflichtet fühlten. Hätte ich doch nur ein paar dieser Briefe behalten können, die ich in meinem Büro über dem Pub geschrieben habe, um sie Ihnen zu zeigen. Aber sie sind schon längst bei ihren Empfängern angekommen, in alle zwölf Ecken des Universums verstreut. Alles, was ich noch habe, ist der Brief von Mrs. Rose an Papa, den ich Ihnen schon zur Kenntnis gab, und jetzt den von Mama an meinen richtigen Vater, dessen Inhalt ich Ihnen gerade mitteilte.
    Bruno stand mit gespreizten Beinen neben mir, hatte die Faust geballt und lächelte furchterregend zur Decke empor. »Ich wußte es!« brach es aus ihm hervor, wenn auch leise und mit Vorsicht. »Aber, Sophie, sind Sie auch ganz sicher?«
    »Er pflegte sie immer mit zum Mond zu nehmen.« Ich faltete den Brief wieder sorgfältig zusammen. Aus der Schnittwunde an meiner Hand war schon Blut darauf getropft. Ich fühlte mich, als sei ich von innen her erfroren und hinge irgendwo weit weg von allem im Raum. Ich öffnete den Brief erneut und wiederholte: »›Ich versichere Euch, ich werde sämtliche Bedingungen akzeptieren.«
    »Jetzt sehen Sie, daß ich Ihnen nicht mehr erzählen konnte«, sagte Bruno schnell. »Ich wußte nicht, wer M., wer das Kind und wer der Vater war. Auch schreibt sie nirgendwo, daß das Mädchen sein Kind ist. An keiner Stelle erwähnt sie das. Sie sehen nun, ich wußte nichts. Und trotzdem – ich wußte es.«
    Ich erinnere mich, daß ich den Brief an meine Brust preßte, als müsse ich ihn vor ihm verteidigen. »Woher wußten Sie aber, wo der Brief war?«
    »Er lag auf seinem Schreibtisch, als ich ihn einmal besuchte. Er war so verschieden von den anderen Papieren, den Geschäftsbriefen der Gilde, den Berichten der Expeditionsgesellschaften

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