Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
Vom Netzwerk:
Nacht war Papas Domäne, gefährlich, nur erhellt von den Zwillingslichtern seiner Augen. Er hatte mir, als ich noch ein Baby war und auf seinem Schoß saß, immer erzählt, wie sehr Haven darauf angewiesen war, daß er in der Nacht Wache stand, denn in der Nacht kämen die Räuber aus den Docks, um junge Mädchen zu verschleppen. Im Bett erinnerte ich mich wieder daran, wie ich mich schutzsuchend an ihn klammerte und meine winzigen Hände in seinem Bart vergrub. Meine Finger spürten noch seine Weichheit, und in der Nase hatte ich immer noch den Geruch seiner rötlichbraunen Flanellweste.
    Wie ich mich auch drehte und wendete, der Schlaf wollte sich einfach nicht einstellen. Schließlich hörte ich, wie Papa aus dem Haus ging und krachend die Tür ins Schloß warf. Ich stand auf, schlüpfte in die Kleider und verknotete die Schnüre meines Häubchens unter dem Kinn.
    Draußen war es ziemlich finster. Das nachtdunkle Gesicht der Erde hing dicht über mir – ein immenser Flecken. Mir kam er vor wie ein großes Schwarzes Loch, das alle Sterne verschlungen hatte und bald auch uns verschlingen würde. Kappi hatte seine Runde schon gemacht und überall die Lampen angezündet. Sie zischten leise und warfen milchige Lichtpfützen auf die schwarzen Ziegelmauern.
    Rasch ging ich unsere Straße entlang, überquerte die Fußgänger-Brücke und eilte über den weiten gepflasterten Platz vor dem Dock, wobei ich darauf achtete, dem Wachturm nicht zu nahe zu kommen. Durch die dünne Luft drang vom
Kormoran
Akkordeon-Musik herüber, übertönt von aufgebrachten, sich streitenden Stimmen.
    Wenig später stand ich am Geländer, starrte hinaus zu dem dichten Netz von Trossen, die sich in dieser und jener und überhaupt in jeder Richtung kreuzten, und dachte über meine Unzufriedenheit nach. Wenn jeder Abend so endlos und ermüdend verlief, wie lange würde ich dann brauchen, um mein Leben zu leben?
    Ich umklammerte das Geländer. Die niedrige Schwerkraft bereitete mir Unbehagen. Ich atmete tief durch und versuchte, mich ein wenig zu beruhigen. Hier wehte eine stetige Brise, die den Staub und vertrockneten Abfall aufwirbelte, den Kappi immer hinterließ, ganz gleich, wie gründlich er auch fegte. Der Sog des nahen Raums produzierte einen kleinen Staubwirbel, der an meinem Gesicht vorbeirotierte und in der Tiefe verschwand.
    Vor mir dehnte sich der Hafen mit den stillen dunklen Booten, die, wohin man auch blickte, an ihren gigantischen Haken hingen. Weit in der Ferne hinter und unter ihnen lag die Milchstraße wie ein Riff aus gebrochenem Licht. Ich betrachtete dieses vertraute Bild und empfand Zorn und Trauer, erkannte meine eigene Dummheit. Ich verfluchte mich selbst und meinen Papa – und wäre am liebsten in dieser Minute auf einem Schiff davongesegelt. Laut drohte ich der Nacht, daß ich eher sterben würde, als zu ihm zurückzukehren.
    Meine Augen wurden feucht. Ich blinzelte – erkannte etwas Goldfarbenes, das schwach im Licht von Papas Wachtturm aufschimmerte. Es war die Yacht des Gildenmeisters und seines Abgesandten:
Unco Stratagem
sei ihr Name, hatten die Morgan-Jungs gesagt. Ihre Masten seien so gelb wie Malzzucker, und das Vorschiff sei aus getöntem Glas. Ich drehte dem Schiff, das so erhaben zwischen seinen unfeinen Gefährten lag, den Rücken zu und ging langsam in Richtung Prinz-Edward-Dock. Ich wollte bis zu der Statue spazieren, dann nach Hause gehen, mich in mein Bett legen und darauf hoffen, daß der Schlaf bald kam.
    Ich hatte kaum diesen Entschluß gefaßt, da stand plötzlich ein Gentleman vor mir, als sei er vor meinen Füßen aus dem Pflaster des Platzes gewachsen.
     

KAPITEL III
...in dem ich schildere,
wie ich meine Reise begann
    Zuerst war da ein Dreispitz, dem lange, lockige, dunkle Haare folgten. Dazwischen ein schmales Gesicht. Ich konnte das Gesicht nicht sehen, dafür aber einen Mantel aus teurem Tuch und so reich verziert, wie Lew Morgan gesagt hatte. Dann kamen die Beine seiner Bundhose in Sicht. Sie steckten in kniehohen Stiefeln aus feinem Leder. Ich mußte zu ihm hochschauen, als der Mann schließlich zu voller Größe angewachsen war, und wich voller Furcht zurück. Dabei streifte mich sein weiter Mantel.
    »Verzeihung, Ma'am«, murmelte er, ohne mich anzusehen, als er sich an mir vorbeidrängte.
    »Keine Ursache, Sir«, antwortete ich laut, um meine Furcht zu verbergen.
    Bei meiner Antwort blieb er stehen und drehte sich nach mir um.
    Ein Räuber war er nicht, nicht mit all diesen

Weitere Kostenlose Bücher