Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
Vom Netzwerk:
Goldtressen an seinen Kleidern. Er mußte ein sehr bedeutender Mann sein. Da ich fühlte, daß er auf etwas wartete, machte ich einen ungeschickten Knicks vor ihm und sagte das erste, das mir in meinen benebelten Sinn kam. »Man sagt, bei der Überfahrt gäbe es Sturm, Sir. Das geschieht häufig, wenn die Tide so nahe kommt.«
    Er ließ seinen Spazierstock einmal durch die Luft wirbeln und stützte sich dann darauf. »Dann mach, daß du schnell nach Haus und in dein Bett kommst, Kind«, sagte er. Er hatte tatsächlich die Stimme eines Gentleman, obwohl sie in meinen Ohren fremd klang.
    Er sprach die Worte sehr präzise und sorgfältig aus, wie ein feiner Herr, der eine Gabel zum Essen benutzte.
    Von seinem Gesicht konnte ich noch immer kaum etwas erkennen. Am unteren Ende war es ziemlich dunkel, woraus ich schloß, daß der Mann einen Vollbart trug. Mir wurde bewußt, daß ich ihn anstarrte, was sehr ungezogen war.
    »Ich bin kein Kind mehr, Sir.«
    Er richtete sich zu voller Größe auf. Aus der Laterne hinter ihm fiel spärliches Licht über seine Schulter und ließ die weißen, spitzenbesetzten Manschetten seines Hemdes, die aus den Lederhandschuhen herausschauten, aufleuchten. Es brach sich auch in den Ringen aus Gold und Silber, die er über den Handschuhen trug. Einer hatte sogar einen Rubin so groß wie eine schwarze Johannisbeere.
    »Ich verstehe«, sagte der Gesandte. Sein Tonfall hatte sich verändert, klang jetzt nicht mehr verächtlich und ungeduldig. Im Gegenteil, irgend etwas schien sein Gefallen gefunden zu haben. Trotzdem änderte er seine Haltung nicht, sondern legte nur die Hand an sein Kinn. Ich hörte, wie seine Ringe gegen Metall klirrten. Wahrscheinlich trug er einen Respirator oder einen Atemschutz.
    »Dann bist du also aus eigener Initiative hier und nicht, um mich einzuladen, den Charme einer anderen auszuprobieren?« fragte er.
    Ich verstand nicht, wovon er sprach.
    Und noch weniger verstand ich, warum ich hier stand und mit ihm sprach. Ich dachte, es sei besser, sofort zu gehen, aber dieses Wort
einladen
klang so hübsch in meinen Ohren, und mein Mund schien plötzlich einen eigenen Willen entwickelt zu haben. »Die Leute haben gesagt, ich sollte Sie zum Tee bitten, Sir. Ich würde das ja auch gern, Sir, und Sie wären herzlich willkommen, Sir – aber mein Vater fühlt sich nicht wohl. Für ihn ist es immer sehr aufregend und beschwerlich, wenn Besuch kommt. Und unser Salon ist für einen Gentleman wie Sie nicht der richtige Ort, Sir.«
    Ich fühlte mich voller Luftblasen und hätte bei dieser Vorstellung beinahe laut aufgelacht. Ich fragte mich, ob es das war, was die Leute Hysterie nannten.
    Mein Opfer seinerseits war sichtlich belustigt. Nein, belustigt war nicht das richtige Wort, er war verwundert – und bereit, dieses überraschende Spielchen mitzuspielen. »Bist du betrunken, Mädchen?«
    »Nein, Sir.«
    »Dann vielleicht verrückt?«
    »Weder – noch, Sir«, antwortete ich und fragte mich, ob ich es nicht doch war. Was sollte der Herr auch denken, wenn ich wie eine Wahnsinnige alles aussprach, was mir gerade in den Sinn kam? Ab sofort bemühte ich mich, meine Zunge im Zaum zu halten, ehe ich in Schwierigkeiten geriet, vor denen Papa mich immer gewarnt hatte. Ich machte einen erneuten Knicks. »Ich wünsche Ihnen eine sichere Überfahrt, Mr. Cox, Sir –und eine gute Nacht!«
    Ich wollte schon entfliehen, aber er hatte eine Antwort bereit.
    »Du bist mir gegenüber im Vorteil, junge Dame«, meinte er.
    Ich gab keine Antwort, denn ich wollte mich ihm nicht weiter offenbaren. Er machte einen Schritt auf mich zu.
    »Ich bitte um Verzeihung, Sir.« Ich versuchte mich an ihm vorbeizudrücken. »Vergessen Sie nicht den Sturm, Sir. Gute Nacht.«
    »Warte.« Rasch griff er nach meinem Arm. Ich wollte protestieren, aber er ergriff meine Hand und beugte den Kopf darüber. Einen Moment glaubte ich, er wolle sie küssen. Doch er betrachtete nur meinen Ring. Plötzlich erstarrte er und wurde sehr still.
    »Wie bist du zu diesem Ring gekommen?« fragte er nach langem Schweigen. Seine Stimme klang sehr ruhig und leicht, als sei er nur sehr beiläufig an dieser Sache interessiert.
    »Er gehört mir, Sir. Ich besitze ihn schon mein ganzes Leben – solange ich denken kann.«
    »Du lügst mich an, Kind. Ich glaube, du hast ihn gestohlen, stimmt's?«
    »Nein, Sir. Fragen Sie meinen Vater, wenn Sie mir nicht glauben.«
    Ich sah das Gaslicht auf dem Knauf seines Stocks aufschimmern, als er ihn hob,

Weitere Kostenlose Bücher