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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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und zuckte zurück. »Wer ist dein Vater?« fragte er rasch und drückte meine Finger.
    Ich wollte es ihm nicht sagen.
    »Wer?« Er verstärkte den Druck.
    Ich wollte es ihm nicht sagen, wollte aber auch, daß er mich losließ. Fieberhaft suchte ich nach einer Lüge, aber mir fiel nichts ein. Also sagte ich ihm den Namen meines Vaters – sogar mit gewissem Stolz, denn schließlich war er doch mehr oder weniger ein Konstabler. »Jacob Farthing, Sir. Der Wachmann vom Ostdock. Sie können die Leute fragen. Jeder kennt ihn.«
    Das stimmte, denn obwohl mein Vater keine Bekannten hatte und auch selbst nicht bekannt war - jeder in der Eastside, der früh aufstand oder spät nach Hause kam, kannte ihn, diesen Mann mit den blassen Gesicht, der mitten auf der Straße Selbstgespräche führte und jedem Passanten mit der Laterne ins Gesicht leuchtete. Sie kannten seinen Gang und seinen Weg.
    Mein Häscher hörte mir nicht zu. Meiner Meinung nach hatte er kein Wort von dem, was ich sagte, verstanden. »Komm mal hier herüber, Kind!« befahl er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Er war es gewohnt, daß die Leute ihm gehorchten. Er ging zu der Lampe hinüber und zog mich mit. Dort schob er den Spazierstock unter den Arm, nahm mein Gesicht in beide Hände und drehte es in den Schein der Gasflamme. Eingehend forschte er darin – während ich derweil sein Gesicht musterte.
    Er war ein Mann in den Vierzigern, schätzte ich, und roch nach Schnupftabak und Pfeffer. Sein Gesicht war länglich und schmal, fast wie das eines Hundes. Er hatte eine helle Haut und trug eine gelockte, dunkelbraune Perücke mit rötlichen Strähnen. Seine Augen saßen in tiefen Höhlen neben der langgezogenen Nase, die sich an ihrem Ende ein wenig bog. Meiner Meinung nach waren es kluge Augen. Die Oberlippe war schmal und glattrasiert. Er trug keinen Respirator –sein Kinn war aus Metall!
    Bei dem Anblick dieses stumpfgrauen Metallkinns mit seinen ungezählten Beulen und Millionen Kratzern schrie ich beinahe laut auf. Die Seiten verliefen nach hinten und verschwanden unter den Locken der Perücke. Die Lippen und Wangen zeigten an den Stellen, die von dem Metall nicht bedeckt wurden, die roten Furchen von alten Narben. Ich war verblüfft, daß er so deutlich und klar sprechen konnte, und ich bekam eine leise Vorstellung von der Willenskraft dieses Mannes.
    »Ich bin kein Kind«, sagte ich nochmals.
    Zornig sah er mich an, als sei meine Unverschämtheit nichts als eine armselige Ausflucht vor seiner Neugier. Ich bemerkte, daß seine Nasenflügel bebten und sich verengten, als er seine Beherrschung wiedererlangte. Ich war sicher, er kannte das alles – und auch den Schmerz. Hier stand mir ein Mann gegenüber, der imstande war, jederzeit alle Schwierigkeiten zu meistern.
    »Ach, aber ich sehe doch, daß du eins bist«, sagte er ausdruckslos, als spreche er zu sich selbst oder zu einer anderen Person, die nicht zugegen war – wie Papa es manchmal tat. »Genau das bist du« – jetzt sprach er wieder zu mir –, »Miss Farthing.«
    Ich hörte Musikfetzen von dem Akkordeon, das Schlagen einer entfernten Tür auf der Half Moon Street, das Grölen einer Horde Männer. Dann das harte, grelle Lachen von Frauen.
    Er ließ nicht erkennen, daß auch er diese Geräusche wahrnahm.
    »Erzähl mir von deiner Mutter«, forderte er mich auf.
    »Sie ist tot, Sir.«
    Er überhörte meine Antwort einfach. »Nun?« fragte er.
    »Ihr Name war Miss Estelle Crosby.«
    »Tatsächlich«, brummte der Gentleman.
    »Sie ging mit der
Hippolyta
unter«, fuhr ich fort. Da ihn das wenig zu beeindrucken schien, fügte ich hinzu: »Mama ist ein Engel.«
    Ganz unerwartet lachte er auf. Es war ein höhnisches Lachen, kurz und rauh wie das Bellen eines Hundes. Ich konnte seine Zähne sehen: die oberen alle krumm und schwarz verfärbt, die unteren aus Eisen gefräst. Ich weiß noch, daß ich damals glaubte, Mr. Cox lache nicht gern. Sein Lachen klang jedenfalls, als würde es ihm Schmerz bereiten.
    Er sah mir in die Augen. »Ein Engel also! Nennt man sie hier so?« fragte er trocken. »Und mit der
Hippolyta,
sagst du? Ein einfallsreicher Mann, dein Vater, bei Gott, mit einer sehr ausgeprägten Phantasie.«
    Mit einem eleganten Schwung seiner Callisto-Spitzen ließ er mich los. Ich rieb mir die Stelle, die von seinem harten Griff schmerzte.
    »Geh deiner Wege, Mädel«, sagte er beinahe sanft, zog ein weißes Batisttuch aus dem Mantelärmel und wedelte damit nach mir, als sei ich eine

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