Sophies Kurs
auf der keine Menschenseele war außer mir –mit Kappi als Sklave, wie dieser Freitag von Mr. Crusoe einer war.
Doch ich glaube, es ist kindisch, einen Sklaven haben zu wollen. Jemand zu haben, der einem auf Schritt und Tritt folgt, sich um einen kümmert, das Essen und die Drinks bringt, und dem man für seine Dienste nicht mal einen Penny Lohn zahlt – was ist diese Vorstellung denn anders als kindisch? Aber das war nur eine Phase meiner Entwicklung. Die Zeit verging, und ich begann, nicht länger mehr ein Kind zu sein. Und mein Vater erkannte mit der Zeit mein Lesen als eine profitable Befähigung. »Es wird dir sehr zustatten kommen, Sophie«, sagte er, »wenn die Zeit dazu gekommen ist. Du wirst eine gute Stelle als Sekretärin oder als Gehilfin eines Schriftgelehrten bekommen. Oder sogar Lehrerin werden. Denk mal darüber nach.«
Ausgerechnet er, der mich in keine Schule hatte gehen lassen, außer seiner eigenen, sprach voller Hochachtung von diesem Beruf. Nicht mal in die Lehre zu den alten Frauen in den Segeltuch-Schuppen hatte er mich geschickt. Ich erwiderte nichts darauf, wußte aber tief im Innern – und Kappi wußte es auch –, daß die Vorstellung einer guten Arbeit für Sophie nur wieder einer seiner Opium-Träume war. Meine Aufgabe war es, mich um ihn zu kümmern und ihm das Haus zu führen. So klein und winzig es auch war, immer blieben tausend Dinge zu tun. Wie hart ich auch arbeitete – nichts war jemals sauber oder adrett.
Vielleicht arbeitete ich auch nicht sehr hart. Vielleicht saß ich ja nur stundenlang herum und drehte mein Haar zwischen den Fingern oder kratzte mit den Fingernägeln die Krümel von der Tischplatte. Natürlich geschah es manchmal, wenn es auf der Werft ruhig geworden war und das Mondlicht in die Küche fiel, daß ich mich, die Spülbürste in der Hand, plötzlich aufrichtete und, von einer plötzlichen Panik erfaßt, erschauerte. Ich war schon fünfzehn, und die Leute auf der Straße sahen mich immer mitleidiger an. Wenn meine Mutter am Leben geblieben wäre, dachte ich, sähen die Dinge jetzt anders aus. Meist weinte ich dann in die Spülschüssel und verfluchte die
Hippolyta
mit Worten, die ich von meinem Papa gelernt hatte.
Eines Morgens verließ ich wie gewöhnlich das Haus und machte mich auf den Weg zum Markt. Ein Taubenpaar mit dunklem Gefieder flatterte von der Straße auf, und ich fragte mich, wie sie das in der dünnen Luft schafften, die uns bei den Ostdocks zum Atmen blieb. Ich schaute nach oben und sah die Schatten der Fähren wie die Kämme eines Webstuhls über die blaue Fläche der Erde hin- und hereilen. Irgendeine größere Yacht war ganz in der Nähe vertäut, ein Dreimaster so gelb wie Butter, der irrtümlicherweise zwischen all den heimischen Loggern und Trampschiffen festgemacht hatte. Zwischen all den Seelenverkäufern wirkte er wie die Kutsche von Cinderella. Aber ich interessierte mich ja nicht für Schiffe. Rasch ging ich die Toomey Street hinauf und ließ mich von den Rufen der Gemüsehändler zu ihren Ständen locken.
Während ich in der dichtgedrängten Menge stand und nach einem kleinen Kohlkopf suchte, der nicht schon gelb oder wurmzerfressen war, entdeckte ich am übernächsten Stand Benny Stropes Busenfreund Kipper Morgan. Mit seinem Bruder Lew verkaufte er billiges Geschirr und Tonwaren. Kipper hatte sich ein scharlachrotes Tuch um den Hals geschlungen und sein widerspenstiges rotes Stoppelhaar unter eine Tuchmütze gezwängt. Die beiden unterhielten sich über die Yacht, die ich auf dem Weg zum Markt gesehen hatte. Lew nannte ihren Namen und sagte, die
Unco Stratagem
gehöre dem Hochmeister der einen oder anderen Gilde. »Ich habe ihren Herrn gesehen«, meinte er zu einer Gruppe von Kunden. »Schaute richtig wütend drein.«
»Was tut das Schiff denn auch da unten im Ostdock?« fragte einer.
»Weil das Prinz-Edward-Dock voll ist.« Lew lachte. Es amüsierte ihn, daß auch hohe Herren Ärger hatten. »Richtig außer sich war er. Was sagst du dazu, Sophie?«
Die
Unco Stratagem –
das war ein Name, den ich noch nie gehört hatte. Jedenfalls hatte Papa das Schiff nie erwähnt. Ich beschäftigte mich weiterhin mit dem Gemüse. »Ich weiß nicht«, murmelte ich undeutlich. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Von Mr. Cox natürlich, seinem Gesandten. Du solltest mal auf ihn achten, Sophie. Das ist ein Anblick, sag ich dir. Lange braune Locken, und der purpurrote Mantel ist von oben bis unten vergoldet.«
Kipper Morgan, der mein
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