Sophies Kurs
Matrosen, daß sie durch das Fernrohr das ZENTRUM gesehen hätten, in dem die Sonnen schmelzen und zusammengewirbelt werden. Dann lachten sie und erzählten eine unanständige Geschichte von einem Piloten.
Ich stand gerade hinter der Bar und stellte die sauberen Krüge in Reih und Glied, als Mrs. Baxter aus dem Kerzenmacher-Laden mit einer Frau in einem graublauen Kleid hereinkam. Die Ärmel des Kleides waren hochgerollt. »Das ist sie, Ginny«, sagte Mrs. Baxter und setzte sich dicht vor mir auf einen Stuhl. »Das ist das Mädchen.«
Die betrunkenen Matrosen grölten laut: »Ginny, Ginny!« Doch die Frau schenkte ihnen keine Beachtung und lehnte sich an die Bar. »Bist du das Mädchen von High Haven?« fragte sie mich.
Sie war eine großgewachsene, grobknochige Frau mit einem ungeduldigen Gesicht. An ihrem Zopf und den Narben, die sich spiralenförmig über ihre Arme zogen, konnte man erkennen, daß sie ebenfalls eine Deckhand war. Ihre Zähne waren vom Tabakkauen krumm und braun geworden. Sie kaute, als ob ihr Leben davon abhinge, als sei Tabak der Kraftstoff, der sie antrieb.
Ich sagte, ich sei das Mädchen.
»Wie ist dein Name?«
Ich mußte mich zwingen, ihr zu antworten. »Sophrona Farthing.«
Mrs. Baxter schrie überrascht auf, doch ihre Freundin schien keineswegs erstaunt. »Wie heißt dein Pa?«
Ich stellte die Krüge auf das Bord. »Jacob Farthing.«
»Und was ist mit deiner Mutter? Wie hieß die?«
Unbehaglich schob ich mir eine Haarsträhne aus den Augen. Ich kannte Mrs. Baxter nicht sonderlich gut und konnte mir nicht erklären, warum sie die Frau zu mir gebracht hatte. Bestimmt nicht, um sich von mir einen Brief vorlesen zu lassen. Da war ich mir sicher. Ich glaubte unsichtbare Engelsschwingen zu hören, die sich von mir durch den Bierdunst des Pubs entfernten.
»Ich weiß es nicht. Er hat ihren Namen nie erwähnt.«
Mrs. Baxter schnaufte mißbilligend. »So eine Schande!«
Die große Frau nickte nur, als habe sie nichts anderes erwartet. Sie spie einen Strahl braunen Saft in das Sägemehl auf dem Boden, ohne mich dabei auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Ich war froh, daß die Bar uns trennte.
»Sie hieß nicht zufällig Rose?« meinte sie. »Mrs. Rose?«
Ich spürte einen Eishauch in meinem Herzen. Verzweifelt wünschte ich mir, die große Frau solle verschwinden, auf ihr Schiff, in die schwarze Leere des Raums zurückkehren und mich in Ruhe lassen. »Was wissen Sie über meine Mutter?« fragte ich.
»Vielleicht nichts.«
Trotzdem starrte sie mich weiter an. Jetzt bekam ich ernsthaft Angst. Ich wußte, das nächste, was sie sagte, konnte nur etwas Schreckliches sein. Aber sie sagte nichts, sondern stand nur da und kaute auf ihrem nassen Priem herum. Ich bemerkte Mrs. Baxters Blick. Offenbar begann sie sich zu fragen, ob die lange Zeit im Raum den Verstand ihrer Freundin beeinträchtigt hatte. Manchmal passiert so etwas. Wenn man zu lange ins Nichts starrt, verschlingt es einen und saugt einem im Nu die Seele aus dem Leib. Wirklich gute Männer sind so schon zur Mastspitze hinaufgeklettert und haben sich geweigert, wieder herunterzukommen.
Ich trocknete mir die Hände und sagte zu der Frau: »Wer sind Sie denn überhaupt?« Ich erinnere mich, daß mein Tonfall ziemlich unverfroren war.
»Ich bin Ginny Wigram.« Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und ließ mich stehen. Sie schob sich an den Gästen vorbei, tat die anzüglichen Rufe ihrer Schiffskameraden mit einem verächtlichen Winken ab und verschwand durch die Tür.
»Ist das dein richtiger Name – Sophrona?« fragte Mrs. Baxter, die bei mir sitzengeblieben war.
Ich nickte und folgte mit meinem Blick dem Schatten von Ginny Wigram draußen vor dem gelben Fenster, bis er verschwand. »Wer ist Mrs. Rose?«
Mrs. Baxter hob die Brauen, schob die Unterlippe vor und schüttelte den Kopf.
»Und wer ist sie?« fragte ich und sah dabei immer noch zum Fenster hinüber. Ich war erleichtert und enttäuscht zugleich – jetzt, nachdem die Frau gegangen war.
»Sie gehört zu den Leuten von diesem Schiff, das deinen Namen trägt«, antwortete Mrs. Baxter und drehte den Kopf zur Seite. »Kennst du denn nicht die Wigrams hier aus der Straße – in Nummer dreiundsechzig?« Sie öffnete ihre Handtasche. »Sie wird wiederkommen. Schenk uns einen Gin ein, Süße. Ich bin schon seit dem Frühstück ständig auf den Beinen.«
Das tat ich. Dann eilte ich nach oben in meine Schreibstube, nahm ein Blatt Papier und schrieb das auf,
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