Sorge dich nicht - lebe
hatte keine andere Wahl in dieser Sache. Ich konnte mich fügen – oder auch nicht. Und dieses ‹auch nicht› bedeutete den sicheren Tod.
Ich half also, die Unterlagen zu sichten, weil es keine Alternative für mich gab. Aber einen Teil der Sicherheiten im Wert von 750 000 Dollar notierte ich nicht auf der Liste, die ich dem Admiral gab. Ich ließ diese Vermögensanteile weg, weil sie zur Filiale in Hongkong gehörten und mit der Firma in Shanghai nichts zu tun hatten. Trotzdem wusste ich, dass ich ins Schwitzen geraten würde, wenn die Japaner es herausfanden. Und sie fanden es bald heraus.
Ich war gerade nicht im Büro, nur mein Hauptbuchhalter. Er erzählte mir hinterher, dass der japanische Admiral einen Wutanfall bekam, mit dem Fuß aufstampfte und fluchte und mich einen Dieb und Verräter nannte. Ich hatte versucht, die japanische Armee zu betrügen! Ich wusste, was das bedeutete. Man würde mich ins Bridgehouse stecken!
Das Bridgehouse war die Folterkammer der japanischen Gestapo. Freunde von mir hatten sich umgebracht, weil sie nicht in dieses Gefängnis kommen wollten. Andere Freunde waren nach tagelangen Verhören und Folterungen dort gestorben. Und jetzt würde man mich selbst ins Bridgehouse schicken.
Was tat ich also? Ich erfuhr die Neuigkeit am Sonntagnachmittag. Vermutlich hätte ich zu Tode erschrocken sein sollen. Sicherlich hätte ich auch mit Entsetzen reagiert, wenn ich nicht eine sichere Methode zur Lösung von Problemen gehabt hätte. Schon vor Jahren hatte ich mir angewöhnt, mich an meine Schreibmaschine zu setzen und zwei Fragen auf ein Blatt Papier zu tippen, wenn ich mir Sorgen machte. Und natürlich auch die Antworten auf diese Fragen:
Worüber mache ich mir Sorgen?
Was kann ich tun?
Früher versuchte ich oft, diese Fragen zu beantworten, ohne sie vorher zu notieren. Doch das ließ ich bald sein. Denn ich stellte fest, dass das Aufschreiben meine Gedanken klärte. Deshalb ging ich an jenem Sonntagnachmittag direkt auf mein Zimmer und holte meine Reiseschreibmaschine hervor. Ich schrieb:
Worüber mache ich mir Sorgen? Ich habe Angst, dass ich morgen ins Bridgehouse gesteckt werde.
Dann tippte ich die zweite Frage: Was kann ich dagegen tun? Ich überlegte stundenlang und schrieb dann vier Lösungsvorschläge auf – und ihre möglichen Folgen.
a)
Ich kann versuchen, dem japanischen Admiral die Sache zu erklären. Aber er spricht nicht Englisch. Wenn ich einen Dolmetscher verwende, regt ihn das vielleicht wieder auf. Das könnte meinen Tod bedeuten, denn er ist grausam und würde mich lieber ins Bridgehouse stecken, als die Lage durchzusprechen.
b)
Ich kann zu fliehen versuchen. Unmöglich! Ich werde die ganze Zeit beobachtet. Im CVJM muss ich mich an- und abmelden. Bei einem Fluchtversuch werde ich wahrscheinlich gestellt und erschossen.
c)
Ich kann hier in meinem Zimmer bleiben und nicht mehr ins Büro gehen. Dann wird der japanische Admiral misstrauisch und schickt wahrscheinlich ein paar Soldaten, um mich zu holen und ins Bridgehouse zu bringen. Dann habe ich keine Chance mehr, auch nur ein Wort noch zu sagen.
d)
Ich kann ins Büro fahren wie jeden Montag. Möglicherweise ist der japanische Admiral so beschäftigt, dass er die ganze Geschichte vergessen hat. Und wenn er doch daran denkt, hat er sich inzwischen vielleicht beruhigt und kommt gar nicht mehr auf die Sache zurück. In diesem Fall kann mir nichts mehr passieren. Andererseits habe ich noch die Chance, ihm alles zu erklären. Am Montag ins Büro zu fahren wie üblich, als sei nichts passiert, lässt mir also zwei Möglichkeiten, wie ich dem Bridgehouse entgehen könnte.
Sobald ich die ganze Geschichte genau durchdacht und beschlossen hatte, ins Büro zu fahren, fühlte ich mich ungeheuer erleichtert.
Als ich am nächsten Vormittag dort erschien, saß der japanische Admiral schon da, eine Zigarette im Mundwinkel. Er starrte mich an, wie ich das bereits gewohnt war – und sagte nichts. Sechs Wochen später kehrte er nach Tokio zurück – Gott sei’s gedankt –, und meine Sorgen hatten ein Ende.
Mich hinzusetzen und die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten und ihre Folgen durchzudenken und niederzuschreiben und dann sachlich eine Entscheidung zu treffen, hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Wenn ich nicht so vorgegangen wäre, hätte ich womöglich aus Unsicherheit gezögert und aus einem Impuls heraus das Falsche getan. Ich wäre den ganzen Sonntagnachmittag halb tot vor Angst gewesen. Ich hätte nachts
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