Sorge dich nicht - lebe
vergeht oft ein Monat, bis mir plötzlich wieder einmal bewusst wird, dass ich nur drei Finger und einen Daumen an der linken Hand habe.
Vor ein paar Jahren traf ich einen Mann, der in einem New Yorker Bürohaus den Lastenaufzug bediente. Mir fiel auf, dass ihm die linke Hand fehlte. Ich fragte ihn, ob ihn das störe. «O nein», sagte er. «Ich denke selten daran. Nur wenn ich eine Nadel einfädeln will, fällt es mir auf.»
Es ist erstaunlich, wie schnell wir uns mit fast jeder Situation abfinden – wenn wir dazu gezwungen werden. Wir passen uns an und denken nicht mehr daran.
Oft denke ich an die Inschrift an einer zerfallenen Kirche in Amsterdam aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Auf flämisch heißt es da: «So ist es. Es kann nicht anders sein.»
Im Laufe der Jahrzehnte werden wir viele unangenehme Situationen erleben, die einfach «so sind». Sie «können nicht anders sein». Wir haben die Wahl: Entweder akzeptieren wir sie als unvermeidlich und passen uns an, oder wir rebellieren und machen uns das Leben schwer und bekommen schließlich vielleicht sogar einen Nervenzusammenbruch.
Es ist erstaunlich, wie schnell wir uns mit fast jeder Situation abfinden – wenn wir dazu gezwungen werden. Wir passen uns an und denken nicht mehr daran.
Hier ist der weise Rat eines meiner Lieblingsphilosophen, William James. «Nehmt die Dinge, wie sie sind!», meint er. «Sich mit den Gegebenheiten abzufinden ist der erste Schritt, um mit den Folgen eines Unglücks fertig zu werden.» Elizabeth Connley musste das auf die harte Art herausfinden. Hier ist der Brief, den sie mir schrieb: «Am selben Tag, an dem Amerika den Sieg seiner Truppen in Nordafrika feierte», steht in dem Brief, «erhielt ich vom Verteidigungsministerium ein Telegramm, dass mein Neffe – der Mensch, den ich am meisten liebte – als vermisst gemeldet sei. Kurz darauf erhielt ich noch ein Telegramm: Er sei gefallen.
Ich war vor Kummer wie von Sinnen. Bis dahin war das Leben immer gut zu mir gewesen. Ich hatte eine Arbeit, die ich mochte. Ich hatte diesen Neffen mit großgezogen. Er symbolisierte für mich alles Gute und Schöne in einem jungen Menschen. Mir war bewusst, dass ich für alles, was ich gab, hundertfach zurückbekam … Und dann traf das Telegramm ein. Meine ganze Welt stürzte ein. Es gab nichts mehr, wofür sich zu leben lohnte. Ich vernachlässigte meine Arbeit, meine Freunde. Ich ließ mich gehen. Ich war voll Bitterkeit und Hass. Warum hatte man mir meinen geliebten Neffen genommen? Warum musste dieser gute Junge sterben, der noch sein ganzes Leben vor sich gehabt hatte? Ich konnte mich nicht damit abfinden. Mein Kummer war so groß, dass ich meine Arbeit aufgeben, weggehen und mich in meinen Schmerz und meine Tränen verkriechen wollte.
Als ich meinen Schreibtisch aufräumte, fiel mir ein Brief in die Hände, den ich völlig vergessen hatte – ein Brief dieses Neffen, der gefallen war. Er hatte ihn mir ein paar Jahre früher zum Tod meiner Mutter geschrieben. ‹Natürlich werden wir sie alle vermissen›, stand da, ‹vor allem Du. Aber ich weiß, dass Du darüber hinwegkommen wirst. Deine eigene Lebensphilosophie wird Dir dabei helfen. Ich werde nie vergessen, was Du mich Gutes und Schönes gelehrt hast. Wo immer ich bin, wie weit wir auch voneinander getrennt sind – ich werde immer daran denken, dass Du mich gelehrt hast, zu lächeln und alles, was kommt, anzunehmen wie ein Mann.›
Ich las den Brief wieder und wieder. Ich hatte das Gefühl, als stünde mein Neffe neben mir und sagte: ‹Warum befolgst du nicht selbst das, was du mich gelehrt hast? Weiterzumachen, gleichgültig, was geschieht. Verbirg deinen Kummer unter einem Lächeln und mach weiter.›
Und deshalb kehrte ich zu meiner Arbeit zurück. Ich hörte auf, gegen das Schicksal zu rebellieren. Meine Bitterkeit verschwand. Ich sagte mir immer wieder: ‹Es ist passiert. Ich kann es nicht ändern. Aber ich kann und will weitermachen, wie er das wollte.› Ich stürzte mich mit aller Kraft in meine Arbeit. Ich schrieb Briefe an Soldaten – an die Söhne anderer Leute. Ich belegte Abendkurse, suchte mir neue Anregungen und fand neue Freunde. Ich kann kaum glauben, dass ich mich so verändert habe. Ich habe aufgehört, der Vergangenheit nachzutrauern, die unwiederbringlich vorbei ist. Ich bin jeden Tag froh und glücklich – genau wie es mein Neffe haben wollte. Ich habe mit meinem Leben Frieden geschlossen. Ich habe mein Schicksal akzeptiert. Ich lebe jetzt ein
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