Sorge dich nicht - lebe
Wettsystem, das nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung funktioniert. Diese große Versicherungsfirma blüht und gedeiht seit mehr als zweihundert Jahren. Und wenn sich die menschliche Natur nicht ändert, dann wird sie noch tausend Jahre und länger florieren und Schuhe und Schiffe und Siegelwachs gegen Katastrophen versichern, die nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht im mindesten so oft passieren, wie die Leute glauben.
Wenn wir der Sache einmal auf den Grund gehen, werden wir staunen, was für Tatsachen zum Vorschein kommen. Wenn ich zum Beispiel wüsste, dass ich in den nächsten fünf Jahren bei einer Schlacht mitkämpfen müsste, die so blutig ist wie die von Gettysburg, wäre ich entsetzt. Ich würde mein Leben so hoch wie irgend möglich versichern, ein Testament machen und alle meine irdischen Angelegenheiten ordnen. Außerdem würde ich mir sagen: «Vermutlich werde ich diese Schlacht nicht überleben, genieße ich also lieber die Zeit, die mir noch bleibt!» Und doch sprechen die Tatsachen dafür, dass es nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit genauso gefährlich, der Tod genauso sicher ist, wie in Friedenszeiten als Fünfzigjähriger fünfundfünfzig werden zu wollen. Was ich damit sagen möchte: In Friedenszeiten sterben pro Tausend genauso viele Menschen zwischen 50 und 55 Jahren wie von den 163 000 Soldaten in der Schlacht von Gettysburg fielen, auch pro Tausend gerechnet.
Ein paar Kapitel dieses Buches schrieb ich in der Sommerfrische in den kanadischen Rockies. Dort lernte ich das Ehepaar Salinger aus San Francisco kennen. Mrs.Salinger, eine ruhige, ernste Frau, machte den Eindruck, als kenne sie Angst und Sorgen nicht. Eines Abends, als wir vor dem lodernden Kaminfeuer saßen, fragte ich sie, ob sie sich schon jemals über irgendetwas Sorgen gemacht oder wirklich beunruhigt habe. «Beunruhigt?», sagte sie. «Ich hätte mich beinahe umgebracht. Ehe ich lernte, meine Sorgen in den Griff zu bekommen, hatte ich mir das Leben elf Jahre lang selbst zur Hölle gemacht. Ich war gereizt und aufbrausend. Ich stand unter schrecklichen Spannungen. Einmal in der Woche fuhr ich von unserem Haus in San Mateo mit dem Bus nach San Francisco zum Einkaufen. Und selbst da steigerte ich mich noch in das große Zittern hinein: Vielleicht hatte ich vergessen, das elektrische Bügeleisen auszumachen. Hatte ich es etwa auf dem Bügelbrett stehen gelassen? Wenn das Haus nun abbrannte? Oder das Mädchen davongelaufen war und die Kinder allein gelassen hatte? Oder waren sie mit den Fahrrädern weggefahren und ein Auto hatte sie überrollt? Mitten beim Einkaufen steigerte ich mich in solche Ängste, in solche Sorgen hinein, dass mir der kalte Schweiß ausbrach. Ich stürzte zur Bushaltestelle und fuhr mit dem nächsten Bus nach Hause, um nachzusehen, ob alles in Ordnung war. Kein Wunder, dass meine erste Ehe ein totales Fiasko war.
Mein zweiter Mann ist Anwalt – ein ruhiger Mensch mit einem analytischen Verstand, der sich nie die geringsten Sorgen macht. Wenn ich ängstlich und nervös wurde, sagte er: ‹Beruhige dich! Überlegen wir mal gründlich … Worüber machst du dir eigentlich Sorgen? Prüfen wir doch, ob wir nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung überhaupt befürchten müssen, dass es eintrifft.›
«Beruhige dich! Überlegen wir mal gründlich … Worüber machst du dir eigentlich Sorgen? Prüfen wir doch, ob wir nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung überhaupt befürchten müssen, dass es eintrifft.»
Zum Beispiel erinnere ich mich an unsere Fahrt von Albuquerque in New Mexico zu den Carlsbad-Höhlen. Wir fuhren über eine Staubstraße, und plötzlich begann es heftig zu stürmen und zu regnen.
Der Wagen rutschte und schleuderte, mein Mann konnte ihn kaum noch unter Kontrolle halten. Ich war überzeugt, dass wir im Straßengraben landen würden, doch mein Mann wiederholte wieder und wieder: ‹Ich fahre sehr langsam. Es wird nichts Schlimmes passieren. Und wenn der Wagen doch in den Graben rutscht, wird uns nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung nichts passieren.› Seine Gelassenheit, sein Selbstvertrauen beruhigten mich.
«Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung wird uns nichts passieren.» Seine Gelassenheit, sein Selbstvertrauen beruhigten mich.
Einmal im Sommer machten wir eine Campingtour in den kanadischen Rockies. Wir zelteten eine Nacht in über zweitausend Metern Höhe, als ein Sturm losbrach und unsere Zelte in Fetzen zu zerreißen drohte. Die Zelte waren mit Spannschnüren auf einem Holzboden
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