Sorge dich nicht - lebe
nie gedankt – höchstens mit einem Brief –, aber sie fühlten sich reich beschenkt. Weil sie sich freuten, kleinen Kindern helfen zu können, ohne als Gegenwert dafür Dankbarkeit zu erwarten oder auf sie zu hoffen.
Nachdem ich von zu Hause fort war, schickte ich meinem Vater und meiner Mutter zu Weihnachten immer einen Scheck und bat sie, sich ein paar Extrawünsche zu erfüllen. Doch sie taten es nur selten. Wenn ich kurz vor Weihnachten dann nach Hause kam, erzählte mir mein Vater meistens, dass er Kohlen und Lebensmittel für irgendeine Witwe im Ort gekauft habe, die viele Kinder hatte und zu arm war, um sich das Nötigste selbst kaufen zu können. Was für Freude sie daran hatten, andere zu beschenken – die Freude zu geben, ohne dafür etwas zu erwarten!
Ich glaube, auf meinen Vater hätte fast Aristoteles’ Beschreibung des idealen Menschen gepasst – des Menschen, der es am meisten verdient, glücklich zu sein. «Dem idealen Menschen macht es Freude, andern zu helfen», sagte er.
Dies ist der zweite wichtige Punkt, den ich in diesem Kapitel hervorheben möchte:
Wenn wir glücklich werden wollen, müssen wir aufhören, an Dankbarkeit oder Undankbarkeit zu denken, und geben aus einer inneren Freude am Schenken.
Seit zehntausend Jahren raufen sich die Eltern über die Undankbarkeit ihrer Kinder die Haare.
Schon Shakespeares König Lear rief: «Wie schärfer als ein Schlangenzahn es ist, ein undankbar Kind zu haben!»
Warum sollten Kinder eigentlich dankbar sein – außer wir erziehen sie zur Dankbarkeit? Undankbarkeit ist etwas Natürliches – wie Unkraut. Dankbarkeit ist eine Rose. Sie muss gedüngt und gegossen, gepflegt, geliebt und umsorgt werden.
Undankbarkeit ist etwas Natürliches – wie Unkraut. Dankbarkeit ist eine Rose.
Wenn unsere Kinder undankbar sind, wer hat die Schuld? Vielleicht wir. Wenn wir sie nie gelehrt haben, andern gegenüber dankbar zu sein, wie können wir erwarten, dass sie es bei uns sind?
Ich kannte in Chicago einen Mann, der Grund hatte, sich über die Undankbarkeit seiner Stiefsöhne zu beklagen. Er schuftete in einer Kartonagenfabrik und verdiente selten mehr als 40 Dollar die Woche. Er heiratete eine Witwe, und sie überredete ihn, sich Geld zu leihen und ihre zwei erwachsenen Söhne aufs College zu schicken. Von seinem Wochenlohn von 40 Dollar musste er also Essen, Miete, Heizung, Kleidung und die Raten für seine Schulden bezahlen. Er tat das vier Jahre lang, schuftete wie ein Kuli und beklagte sich nie.
Hat er jemals Dank dafür geerntet? Nein. Seine Frau hielt dies alles für selbstverständlich – und seine Stiefsöhne auch. Sie dachten nicht einmal im Traum daran, dass sie ihrem Stiefvater etwas schuldig seien – nicht einmal Dank!
Wessen Fehler war es? War den Söhnen ein Vorwurf zu machen? Ja, aber noch mehr der Mutter. Sie fand es beschämend, ihr junges Leben mit dem Gefühl zu belasten, jemand «verpflichtet zu sein». Sie wollte nicht, dass ihre Söhne «mit Schulden ins Leben hinausgingen». So kam es ihr nie in den Sinn zu sagen: «Was für ein großartiger Mensch euer Stiefvater ist, dass er euch das College bezahlt!» Vielmehr fand sie: «Na, das ist das Mindeste, was er tun kann.»
Sie glaubte, ihre Söhne zu schonen, doch in Wirklichkeit schickte sie sie mit der gefährlichen Vorstellung ins Leben hinaus, dass die Welt ihnen etwas schulde. Und es war tatsächlich eine gefährliche Vorstellung – denn einer ihrer Söhne versuchte später, von seinem Arbeitgeber Geld zu «leihen», und landete im Gefängnis.
Wir müssen immer bedenken, dass unsere Kinder zum größten Teil das sind, was wir aus ihnen machen. Viola Alexander aus Minneapolis – die Schwester meiner Mutter – ist ein leuchtendes Beispiel für eine Frau, die nie Grund hatte, sich über die «Undankbarkeit» von Kindern zu beklagen. Als ich ein kleiner Junge war, nahm Tante Viola ihre Mutter bei sich auf und kümmerte sich liebevoll um sie. Und mit der Mutter ihres Mannes machte sie es genauso. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich die beiden alten Frauen wieder vor dem Feuer in Tante Violas Farmhaus sitzen. Machten sie Tante Viola viel «Mühe»? Ja, vermutlich. Aber ihrem Benehmen nach hätte man dies nie vermuten können. Sie liebte die beiden alten Frauen – und deshalb verhätschelte und verwöhnte sie sie und gab ihnen ein Zuhause. Außerdem hatte Tante Viola noch sechs Kinder. Aber es kam ihr nie der Gedanke, dass sie etwas besonders Großartiges tat oder
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