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»Sorry, wir haben uns verfahren«

»Sorry, wir haben uns verfahren«

Titel: »Sorry, wir haben uns verfahren« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Antje; Orth Blinda
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Belustigung. Nach jeder Ansage kam er vorbei, um zu fragen, ob er sich denn verbessert habe. So viel Moti­vation bringe ich nicht mal an Weihnachten zur Groß­familie mit – meine Hochachtung. Man hatte dem Bahn­bediensteten einen Platz neben mir eingeräumt, obwohl das Abteil völlig überfüllt war, damit wir unserem Englischunterricht nachkommen konnten. Die Freude war mittlerweile jedes Mal groß, wenn der junge Herr wieder strahlend um die Ecke schoss.
    Bei mindestens zehn Durchsage-Versuchen musste ich ihm stets mit einem Kopfschütteln signalisieren, dass keine Besserung zu hören war. So ehrlich war ich nun doch und hoffte, ihn nicht zu kränken. Etwas geknickt schaute er schon drein, doch dann hatte er eine Idee: Ich solle doch die Ansagen mit ihm gemeinsam machen, schlug er zur großen Erheiterung meiner Abteilgenossen vor. Da musste ich jetzt wohl durch, nervös folgte ich dem Schaffner. Ich muss ausgesehen haben wie ein Esel im Regen. Über Passagiere und Taschenstapel ­steigend, arbeiteten wir uns zum Zugleiterabteil vor. Über das Mikrofon stellte er mich den Zuhörern vor. Ich sackte als Häufchen Elend in mich zusammen und wünschte mich ganz weit weg. Zögernd nahm ich dann doch das Mikrofon und übersetzte, was er gesagt hatte. Als ich mit gefühlt faustdicken Schweißperlen auf der Stirn zurück in mein Abteil kam, wurde ich mit begeisterten Ovationen empfangen.
    Von da an wurde ich für jede Ansage abgeholt und klatschend begleitet. Ich bin mir ganz sicher, dass kein Passagier mehr an Arbeit oder Schlaf denken konnte. Auch meine Arbeitsmoral war dahin – dafür hatte ich den Fahrgästen wohl eine höchst unterhalt­same Fahrt und Weihnachtsgeschichte beschert.
    Julian Certain, Hamburg





Kapitel 8
    Totaler Bahnsinn:
    Â»Es befindet sich ein Lokführer auf den Gleisen!«
    Wolfsburg? War da was? Die niedersächsische Stadt hatte 2011 schlechte Karten bei der Deutschen Bahn: Innerhalb kurzer Zeit sausten dreimal ICE-Züge an ihrem Bahnhof vorbei, ohne zu halten. Sowohl die zum Aussteigen bereiten Passagiere im Zug als auch die wartenden auf dem Bahnsteig machten große Augen, ihre Reisepläne waren mit dem ausgefallenen Halt im Eimer. Während beim ersten Mal der Lokführer erst in Berlin-Spandau wieder auf die Bremse stieg, konnten die Fahrgäste bei den weiteren Pannen immerhin schon in Stendal aussteigen . Eine Regionalbahn in Gegenrichtung beziehungsweise ein Bus brachte sie von dort nach Wolfsburg zurück, mit einer Ver­spätung von bis zu eineinhalb Stunden.
    Die scheinbare Vergess­lichkeit der ICE-Fahrer amüsierte die Republik, die benachbarten Städte reagierten mit Häme, und in der links liegengelassenen Autostadt gab man sich verschnupft: »Wolfsburg ist Niedersachsens größte Industriestadt und mit Recht ICE-Halt«, protestierte Oberbürgermeister Rolf Schnellecke gegen die Vernachlässigung. Der VfL Wolfsburg versuchte es etwas humorvoller mit Lockmitteln und bot Lok führern Freikarten für ein Bundesliga-Heimspiel an. Schließlich zeigte sich die Bahn angemessen geknickt – ein Vorstandsmitglied eilte persönlich ins Wolfsburger Rathaus und entschuldigte sich bei Stadt und Fahrgästen. Dabei war wohl nur der erste Lokführer, der im Juni Wolfsburg ignorierte, schusselig. Die anderen beiden ausgelassenen Halte sollen laut Bahnsprecher der Bürokratie zum Opfer gefallen sein: Jeder Zugführer habe einen elektronischen Fahrplan und dazu einen auf Papier, auf dem unter anderem Baustellen vermerkt seien. Beim Übertragen des Papierplanes in das elektronische System sei Wolfsburg schlichtweg vergessen worden. Eine »seltene Verkettung unglücklicher Umstände«, hieß es. Leider nicht selten genug – seitdem ­müssen sich alle ICE-Fahrer bei der Transportleitung rückversichern, falls der elektronische Fahrplan im Cockpit keinen Stopp ansagt.
    Allerdings müssen die Wolfsburger es nicht ­persönlich nehmen, dass der ein oder andere ICE sie einfach ignoriert. Verpasste Halte kommen häufiger vor, als bekannt wird. Als zur gleichen Zeit Celle in Niedersachsen einfach ausgelassen wurde, musste ein Bahnsprecher zugeben: »Eindeutig ein Ver­sehen des Lokführers.« Also doch etwas vergesslich, die Bahnmitarbeiter?
    Von verpassten Bahnhöfen, schlafenden Lokführern und anderen skurrilen Vorkommnissen auf

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