Sorry
an. Seine nächsten Worte tun weh.
– Geh ins Haus, wenn du nicht mehr kannst.
Tamara zögert. Sie will daran glauben, daß es nur ein übler Scherz ist, sie will nicht, daß Kris ihr diese Hoffnung nimmt. Wolf, der durch das Tor tritt und fragt, was sie da machen. Bitte. Wolf, der aus einem der Fenster ruft, was sie da tun. Bitte, komm. Alles wäre danach nur der makabre Humor eines Irren, der sie in der letzten Woche dazu gebracht hat, zwei Leichen zu verscharren.
Mehr nicht.
Tamara bohrt ihre Finger wieder in die Erde und gräbt weiter.
– Kris?
– Was?
– Kris, ich ...
Die Haut ist wie Gummi. Die Haut ist kalt und nicht von dieser Welt. Tamara hat den rechten Arm gefunden. Es ist die Hand mit dem Verband. Die Hand fühlt sich fremd und falsch an. Als wäre jeder Knochen gebrochen. Kein Widerstand. Das Handgelenk sieht aus, als hätten Schnüre in das Fleisch geschnitten. Tamara will sich sofort um die Wunde kümmern, sie will sie reinigen und einen Verband anlegen. Kris greift nach der Hand. Tamara beginnt hektisch, die Erde drum herum wegzuschieben. Sie will nicht aufsehen und sieht auf. Kris hat die Hand an sein Gesicht gedrückt. Erde, Dreck, zwei Finger, die über seinem Mund liegen. Tamara will schreien, sie verschluckt sich an der Luft und hustet, sie starrt nach unten und gräbt weiter. Eine Schulter, sie legt eine nackte Schulter frei. Sie sucht sein Gesicht, während Kris neben ihr wimmert, keine Worte, nur ein leises Wimmern.
Um Wolfs Kopf herum liegt ein Kissenbezug. Der Stoff ist feucht von der Erde, ein verwaschenes Grün mit einer gestickten Lilie. Kris versucht, Wolf den Stoff vom Kopf zu ziehen, und schafft es nicht. Tamara beugt sich vor und beißt mit den Zähnen ein Loch hinein. Sie schmeckt Waschmittel und Erde. Kris weitet das Loch, der Stoff reißt mit einem sirrenden Laut, und dann ist da WolfsGesicht, und Wolf sieht aus, als würde er schlafen. Kein Erdkrümel verdreckt sein Gesicht, er ist blaß, seine Haut beinahe durchscheinend. Als wäre er nicht da , denkt Tamara und dreht sich weg und weint in ihre verdreckten Hände und sinkt zur Seite und liegt zusammengekrümmt in der Grube und hört Kris Laute von sich geben, die sie noch nie gehört hat. Wie ein verwundetes Tier, das zusehen muß, wie seine Brut ermordet wird.
Kris trägt ihn ins Haus. Kris trägt ihn nach oben ins Bad. Er wäscht ihn in der Wanne. Er trocknet ihn ab. Danach trägt er ihn wieder nach unten und legt ihn auf das Sofa. Kris deckt ihn zu. Er dreht sich um und sieht Tamara an. Er sieht sie einfach nur an.
– Kris? sagt Tamara. Kris?
– Ich bin hier, sagt Kris, ich höre dich.
Sie sitzen vor dem Sofa auf dem Boden und halten einander fest. Der Tag frißt sich selbst. Es wird dunkel um sie herum. Für eine Weile glaubt Tamara, daß es so bleiben wird. Für immer. Kris und sie in einer Umarmung. Stunden, Tage, Wochen. Laß es Jahre sein. Wolf auf dem Sofa hinter ihnen, Zentimeter entfernt, und draußen eine Welt, die sich dreht und dreht und kein bißchen darum schert, was mit ihnen geschieht.
Tamara erwacht von den Geräuschen, die aus der Küche kommen. Sie liegt allein auf dem Boden. Draußen ist es hell. Als sie sich aufrichtet, fällt ihr Blick auf das Sofa. Wolf ist noch immer bis zum Hals zugedeckt, Augen geschlossen, still. Tamara schiebt ihre Hand unter die Decke, legt sie auf seine nackte Brust und spürt nichts darunter.
Kris steht in der Küche vor der Espressomaschine. Er hat sie in ihre Einzelteile zerlegt. Die Ablage ist ein Chaos aus Schrauben und Dichtungen.
– Kris?
Er dreht sich um. Da sind bläuliche Schatten unter seinen Augen. Tamara glaubt nicht, daß er geschlafen hat.
– Was tust du?
Kris sieht auf die Maschine, als müßte er schauen, was seine Hände anstellen.
– Ich wollte sie saubermachen, dann konnte ich aber nicht aufhören. Ich wollte sie richtig saubermachen. Jedes Teil, verstehst du? Tamara stellt sich neben ihn.
– Was ist das hier? fragt sie und hält eine der Dichtungen hoch.
– Keine Ahnung, sagt Kris und legt den Schraubenzieher beiseite.
Sie trinken Tee. Sie sitzen am Küchentisch und trinken Tee und schweigen. Tamara will nicht, aber sie weiß, daß sie fragen muß. Sie gibt Kris fünf Minuten, dann noch einmal fünf, und dann sagt sie:
– Was machen wir jetzt?
Kris schaut zum Wohnzimmer.
– Kris, wir müssen was machen. Wir müssen zu Gerald.
– Ich weiß.
– Wir müssen ihm alles erzählen.
Kris sieht sie
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