Sorry
eine Grenze. Niemand kann das Geschehene ungeschehen machen und zurückkehren. Man kann es nur aufhalten, damit es sich nicht wie ein Virus ausbreitet. Also konzentrier dich auf das, was jetzt ist. Du, der von einem Nagel gehalten an einer Wand hängt.
– ... wieso?
– Was?
– Wieso hast du sie an die Wand genagelt?
Du siehst ihn nur an. Du wirst ihm darauf nicht antworten.
– Hat Lars dir das alles erzählt? fragt dich der Mann. Hat er dir erzählt, sie hätten dasselbe mit ihm gemacht?
Er lacht.
– Und du hast ihm geglaubt?
Deine Antwort ist ein Flüstern.
– Ich weiß, was ihr mir angetan habt. Ich war dabei. Ihr habt mich festgebunden. Ihr habt mich wie ein Stück Vieh von der Wand hängen lassen. Ich weiß, was ich weiß.
Der Mann lächelt bedauernd.
– Natürlich hat Lars dich angelogen, weil er nicht wollte, daß du die Wahrheit erfährst.
Du hörst nicht hin, du spannst die Arme an. Der Schmerz läßt dich zittern. Der Mann hat dich zwar an die Wand genagelt, er hat aber ein wichtiges Detail außer acht gelassen. Damit Fanni und Karl wirklich an ihrem Platz blieben, hast du ihnen einen zusätzlichen Nagel durch die Stirn getrieben. Dieses Detail ist sehr wichtig, denn wenn du mit deinem Gewicht - - -
Der Mann schlägt dir ins Gesicht, als würde er deine Gedanken lesen.
– Hörst du mir zu? Weißt du, warum Lars so etwas nie getan hätte?
Du hast keine Ahnung, wovon er redet. Wären deine Hände frei, könntest du ihm innerhalb von Sekunden das Genick brechen. Der Mann legt eine Hand auf deine Brust. Er öffnet den Reißverschluß deiner Trainingsjacke, zieht dein T-Shirt aus der Hose und verschiebt es nach oben, so daß deine Brust freiliegt. Du spürst seine kalten Finger. Seinen Atem auf deiner Haut. Du siehst nach unten, der Mann sieht nach oben. Seine Hand bedeckt dein Herz.
– Sag mir, wer du wirklich bist, flüstert er.
– Ich bin euer kleiner Lars, du Arschloch.
Der Mann schüttelt den Kopf. Seine Hand ruht auf deiner Brust.
– Hier, sagt er und tätschelt dich wie einen guten Hund, hier fehlt dir was.
Er läßt dein T-Shirt wieder sinken und tritt zurück. Er sieht auf die Hand, die dich berührt hat, dann sagt er:
– Wenn du mich fragst, dann kennst du Lars nicht einmal richtig, denn wenn du ihn kennen würdest, wüßtest du, daß er ein Teil der Familie ist. Was denkst du, warum er dir sowenig von sich erzählt hat?
Er berührt sein eigenes Herz.
– Wir haben ihn gebrandmarkt. Alle Söhne, alle Töchter tragen dieses Mal. Hier. Du weißt überhaupt nicht, wovon ich rede, nicht wahr? Du glaubst, soviel über Lars zu wissen, dabei hast du keine Ahnung, wer er wirklich ist. Weißt du überhaupt, wer ich bin? Ich bin dir ein Rätsel, richtig? Komm, sag es mir. Wer bin ich?
Du siehst weg, du hast keine Antwort. Also sagt dir der Mann, wer er ist.
Als Butch vierzehn wurde, ließen Fanni und Karl ihn wissen, daß er ihnen jetzt ein Bruder sei. Sie brachten an dem Tag Geschenke und legten sie zu seinen Füßen. Sie waren zärtlich wie Geschwister, und es war das er ste Mal, daß Butch sich in ihrer Anwesenheit geborgen fühlte. Fanni verband ihm die Augen und sagte, sie hätten eine Überraschung für ihn. Sie verließen das Zimmer, dann war es still. Minuten vergingen. Dann hörte Butch eine Bewegung und wußte, er war nicht mehr allein im Zimmer. Er hielt die Luft an,alles in ihm verkrampfte sich. Eine Männerstimme sprach nahe an seinem Ohr. Sie sprach nur einmal. Sie sagte: Lars.
Butch pinkelte los. Er hatte solch eine Angst, daß er einfach lospinkelte. Eine Hand legte sich um sein Glied und molk es, als würde Butch nur für diese Hand pinkeln. Als nichts mehr kam, verschwand die Hand, und es war wieder still. Für Minuten, dann hörte Butch, wie an ihm gerochen wurde. Tiefes Einatmen und seufzendes Ausatmen.
Der Mann hat Butch danach nie wieder berührt. Er hat nur immer wieder an ihm gerochen. Überall. Und er blieb lange. Als er ging, waren seine Lippen wieder an Butchs Ohr. Er sprach leise und sagte: Wenn dich jemand fragt, dann war ich nie da.
Der Mann schaut zu dir hoch. Er ist zufrieden mit sich.
– Lars hat dir von Fanni und Karl erzählt, aber er hat kein Wort über mich verloren. Und weißt du, warum? Weil ich sein Geheimnis bin. Niemand soll von mir erfahren. Ich habe ihn darum gebeten, und er hat es mir versprochen. Wir sind uns nahe. Wir vertrauen einander, verstehst du?
Du nimmst den Blick nicht von ihm. Du darfst jetzt keine Regung
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