Sorry
Hier verschwindet so lange keiner, bis wir wissen, was gespielt wird.
– Was meinst du damit? fährt Wolf ihn an und zeigt mit der Hand in den Flur. Sieht das da drüben aus wie ein Spiel?
– Komm, Wolf, reiß dich zusammen.
– Ich habe kein Interesse, mich zusammenzureißen, ich will hier weg!
– Wolf hat recht, sagt Frauke. Wir sollten die Polizei rufen.
– Ich habe nichts von Polizei gesagt!
Kris wendet sich an Frauke.
– Willst du wirklich die Polizei rufen? Was denkst du, was dann geschieht? Glaubst du, sie nehmen die Leiche von der Wand, geben uns die Hand und lassen uns gehen?
– Mir ist egal, was sie machen.
– Ist es dir nicht, Frauke, sagt Kris und sieht Wolf wieder an. Und du bist der Meinung, wir sollten einfach so verschwinden und darauf hoffen, daß uns niemand hat kommen und gehen sehen? Und was ist hiermit?
Kris hält die Papiertüte hoch.
– Wie erklärst du dir das? Willst du das etwa auch vergessen? In der Papiertüte befinden sich drei Fotos, ein MD-Player und ein Computerausdruck mit einer Nachricht.
Ich weiß, wo ihr lebt, ich weiß, wer ihr seid.
Ich bin euch sehr dankbar.
Ihr habt das alles hier möglich gemacht.
Ihr werdet nicht in Panik ausbrechen.
Ihr werdet weiter leben wie zuvor.
Denn sonst besuche ich eure Familien.
Eure Freunde.
Euch.
Auf einem der Fotos ist der Vater von Kris und Wolf zu sehen. Lutger Marrer ist gerade dabei, seinen Wagen aufzutanken. Er hat eine Hand in der Hosentasche und sieht auf die Zapfsäule. Das zweite Foto zeigt Tanja Lewin. Fraukes Mutter liegt im Bett und lächelt in die Kamera. Frauke erkennt den Hintergrund. Der Mörder hat ihre Mutter in der Klinik aufgesucht. Das dritte Foto zeigt Jenni, die sich den Schuh zubindet.
Tamara nimmt das Foto an sich und sagt:
– Woher weiß er von Jenni?
Sie sehen sie an. Es ist das erste Mal seit drei Jahren, daß Tamara ihnen gegenüber ihre Tochter mit Namen erwähnt.
Kleine, brich mir jetzt nicht zusammen , denkt Frauke.
– Und woher weiß er von uns? spricht Tamara weiter. Stille. Keiner hat eine Idee.
– Das werden wir gleich herausfinden, sagt Kris und wendet sich an Frauke. Hast du an den Ordner gedacht?
Frauke nimmt den Rucksack von ihrer Schulter und wischt eine Stelle auf dem Boden sauber. Sie schlägt den Ordner auf und sucht kurz, bevor sie das richtige Dossier herauszieht.
– Sein Name ist Lars Meybach. Er hat sich vor zehn Tagen angemeldet und - - -
Tamara schreit auf. Alle sehen sie an.
– Ich war’s. O mein Gott, ich war’s.
– Was warst du?
– Er ... er hat sich bei mir gemeldet. Er hat gesagt, es wäre dringend und - - -
Ein dumpfer Laut ist zu hören. Wolf hat mit der Faust gegen die Wand geschlagen. Er sieht überrascht auf seine rechte Hand, als hätte sie ein Eigenleben entwickelt. Blut tropft von den aufgeschürften Knöcheln auf den Boden.
– Intelligent war das nicht, sagt Kris. Aber wenn es dir jetzt bessergeht ...
Während Tamara Wolfs Hand mit ihrem Schal umwickelt, sehen Kris und Frauke sich das Dossier von Meybach an. Es gibt nicht viel zu lesen. Meybach hat sich schriftlich beworben. Kurze Zusammenfassung der Situation, mehr nicht. Er sei ein Kollege von Jens Haneff und die Firma wolle sich bei der Witwe dafür entschuldigen, daß ihr Mann auf einer Dienstreise verunglückt sei.
– Er hat uns mit einer Leidensgeschichte geködert, sagt Frauke, Flugzeugabsturz, Witwe, Schuldgefühl.
– Ich kapier das nicht, sagt Kris. Was will er von uns?
– Mir ist egal, was der Typ will, sagt Wolf. Laßt uns von hier verschwinden.
Kris nickt, als würde er das verstehen, dann holt er sein Handy heraus.
– Was tust du? fragt Frauke.
– Ihn anrufen, antwortet Kris und hält ihr das Dossier entgegen. Lars Meybach war so nett, uns seine Handynummer zu hinterlassen.
KRIS
Es klingelt am anderen Ende. Kris wechselt das Handy von einem Ohr zum anderen. Sein Mund ist trocken, und er spürt kalten Schweiß unter den Achseln. Nach dem vierten Klingeln wird der Anruf angenommen.
– Probleme?
– Keine Probleme, sagt Kris, nur eine Frage. Was soll das alles?
– Ah, das klingt nach Kris Marrer, dem großen Bruder. Es freut mich sehr, daß wir uns auch mal sprechen. Ich tippe, du bist der Motor der Agentur.
– Wir sind zu viert - - -
– Ja, aber einer muß der Kopf sein. Vier Köpfe denken nie gleich, ein Kopf muß sie leiten.
Kris schweigt.
– Ich habe sie saubergemacht, spricht Meybach weiter. All das Blut und der Speichel hätten das
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