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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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in Stuttgart. Im Notfall könnten sie auch dorthin gehen. So sah ihr Plan aus.
     
    Du erinnerst dich an den Geruch der Furcht, der von der Kopfhaut der beiden Jungen aufstieg, als sie Butchs Eltern eine gute Nacht wünschten. Sie legten sich, wieder vollständig angezogen, ins Bett und warteten darauf, daß die Lichter im Haus ausgingen. Sie hatten hinter den Mülltonnen ihre Rucksäcke versteckt, und die Fahrräder standen neben der Garage bereit. Sie hatten auch daran gedacht, sich Geld aus den Portemonnaies ihrer Eltern zu nehmen, und wußten, wann die ersten Züge fuhren.
    Bis zwei Uhr früh lagen sie schwitzend und nervös im Dunkeln und taten, als würden sie schlafen, für den Fall, daß die Eltern überraschend nach ihnen schauten. Punkt zwei klingelte der Wekker unter Butchs Kissen. Sie standen auf und schlichen auf Socken nach unten. Es war still, es fühlte sich an, als würde das Haus jeden ihrer Schritte beobachten und dabei den Atem anhalten.
    Die Frau erwartete sie im Wohnzimmer. Sie saß auf einem derSessel und hatte die Beine unter sich gezogen, so daß es für einen Moment aussah, als würde sie schweben. Sie war ein Schatten in den Schatten. Als Sundance sie erblickte, blieb er auf dem letzten Treppenabsatz stehen. Butch stieß gegen ihn und wollte eben einen Spruch machen, als auch er die Frau bemerkte. Butch begann sofort, schneller zu atmen, und das war wahrscheinlich das Signal für das Haus. Plötzlich knackte und bewegte es sich wieder, plötzlich war das Wohnzimmer erfüllt mit Geräuschen – die Wanduhr tickte, der Dielenboden knarrte, und in der Küche sprang der Kühlschrank an. Die Frau legte den Zeigefinger auf ihre Lippen. Das Zischen einer Schlange.
    – Schhhh.
    Butch pinkelte sich ein. Er klapperte mit den Zähnen. Er war bereit, an Ort und Stelle zu sterben. Du kannst dieses Geräusch noch immer hören. Eine Zahnreihe auf der anderen. Wo auch immer du dich aufhältst, in den stillsten Momenten deines Lebens, dieses Geräusch versteckt sich überall. Sundance dagegen zitterte nicht, er gab keinen Laut von sich, nur die Tränen liefen ihm über die Wangen.
    – Was glaubt ihr, wo Karl jetzt steckt? fragte Fanni.
    Die Jungs antworteten nicht. Fanni zeigte nach oben.
    – Er schaut, ob auch wirklich alle schlafen. Warum schlaft ihr nicht?
    Sundance wußte sofort, daß die Frau log. Wie hätte Karl sich an ihnen vorbeischleichen sollen? Nie im Leben war er da oben. Butch dagegen glaubte der Frau jedes Wort. Er wollte ihr jedes Wort glauben, weil er dachte, daß dann alles gut werden würde.
    – Bitte, wimmerte er.
    – Schhhh, machte Fanni. Sonst werden deine Eltern wach, und du willst doch nicht, daß sie sehen, wie du dich eingepinkelt hast.
    Sundance bemerkte erst jetzt den Geruch von warmem Urin. Er sah nicht zu Butch. Er überlegte, ob sie es bis zur Verandatür schaffen könnten.
    – Da sehen wir uns ein Jahr lang nicht, und ihr wollt verreisen, sagte Fanni. Sehr unhöflich von euch.
    Butch versuchte zu leugnen, die Frau schüttelte den Kopf, sie wollte keine Erklärungen hören.
    – Ihr habt eure Rucksäcke hinter den Tonnen versteckt. Eure Räder sind bereit. Wohin soll es denn gehen?
    Hinter ihnen waren Schritte auf der Treppe zu hören. Butch hätte beinahe losgelacht. Seine Eltern waren wach geworden und kamen nun von oben herunter, und wenn sie erst mal unten waren, dann - - -
    – Sie wollen bestimmt zu uns, sagte Karl. Nicht wahr, Jungs? Butch und Sundance drehten sich um. Die Welt stürzte ein, alle Regeln verschwanden.
    Erst Jahre später hast du dir ernsthaft Gedanken darüber gemacht, wie das hatte geschehen können. Bücher. Statistiken. Du hast alles gelernt. Über das Verhalten von Kindern. Frauen und Männer, die als Pärchen durch die Lande ziehen und morden. Amerika. In Amerika gab es so was. Aber hier in Deutschland? Dir ist nicht bewußt gewesen, wie durchschaubar Kinder sind. Butch und Sundance taten auf geheimnisvoll, dabei trugen sie ihre Pläne wie eine Leuchtreklame vor sich her. Gut sichtbar für alle, die genau hinschauten. Fanni und Karl hatten genau hingeschaut.
     
    Sie sagten, sie würden Butch jetzt mitnehmen.
    Sie sagten, sie hätten Geschmack an ihm gefunden.
    – Wir mögen dich, sagte Fanni.
    Und Butch heulte. Lautlos. Und Butch sah Sundance an. Und Sundance war tapfer und sagte, sie sollten Butch gehen lassen. Leise.
    Bitte .
    – Nehmt mich.
    Fanni und Karl dachten kurz nach und schüttelten dann den Kopf. Nein, Butch gefiel ihnen besser.

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