Sorry
Sie sagten es genau so.
– Dein Freund gefällt uns besser. Das hättest du dir vorher überlegen müssen. Du hast deine Chance auf der Baustelle gehabt. Karl strich Sundance über den Kopf.
– Vielleicht kommen wir ja eines Tages auf dein Angebot zurück.
Da hat Butch geschluchzt. Einmal, laut. Karl zog sofort ein Messer aus seinem Gürtel. Butch verstummte. Karl tippte mit der Spitzegegen Butchs Nase. Er strich ihm über die Wange und wischte mit der Klinge die Tränen weg.
– Möchtest du, daß ich schnell mal zu deinen Eltern hochgehe und ihnen ihre verschissenen Herzen rausschneide? fragte er sanft. Möchtest du das?
Butch bekam wieder Atemnot, ihm wurde schwindelig, er schwankte und begann zu fallen. Fanni sprang vom Sessel und fing ihn auf. Sie drückte Butch an ihre Brust und flüsterte in sein Ohr:
– Gut so, das ist gut so. Atme, mein Kleiner, atme.
Karl befahl Sundance, die Rucksäcke von draußen zu holen. Danach sollte Sundance nach oben gehen und sich schlafen legen.
– Wenn du nicht auf uns hörst, werde ich dein Gesicht öffnen und schauen, ob sich dahinter ein Gehirn verbirgt. Siehst du, so.
Karl kam näher, er zeigte Sundance eine Narbe, die von seinem linken Ohr bis zum Kinn hinunter ging.
– Ich bin noch mal davongekommen, sagte Karl. Wer weiß, ob du davonkommen wirst. Und mach dir keine Sorgen um deinen Freund, er ist bald wieder da. Glaubst du mir?
Karl lächelte, er legte Sundance den Zeigefinger auf die Lippen, als wollte er ihn zum Schweigen bringen. Sundance war still, er war ein Meister der Stille.
– Leck an meinem Finger, wenn du mir glaubst, sagte Karl.
Sundance leckte an seinem Finger. Salzig. Herb. Karl nahm die Hand wieder herunter und steckte sich den feuchten Finger in den Mund.
– Mmmm, machte er.
Dann sind sie gegangen. Mit Butch auf Fannis Armen. Durch die Verandatür in die Nacht. Und Sundance blieb zurück. Zitternd, still. Er stand zehn Minuten einfach nur im Wohnzimmer, bevor er sich über den Mund wischte, wieder und wieder, spuckte und spuckte, bevor er ins Bad schlich und sich den Mund so lange auswusch, bis ihn der Seifengeschmack zum Würgen brachte. Dann tat er, was Karl ihm aufgetragen hatte. Er holte die Rucksäcke herein und brachte sie in Butchs Zimmer. Er legte sich aber nicht schlafen, sondern ging wieder nach unten. Er setzte sich auf den Boden und wartete darauf, daß Butch durch die Tür trat. Er war ungehorsam. Er wußte es. Er kämpfte mit sich, aber es gingnicht anders, er mußte auf Butch warten. Dabei dachte er an das Messer, und er dachte immer wieder: Ich werde davonkommen ich werde ich werde ich werde davonkommen ich warte und ich werde davonkommen wenn Butch wieder bei mir ist werden wir zusammen davonkommen wir werden davonkommen wir werden ...
Erst war da nur ein Schatten.
Sundance hatte die erwachenden Vögel gehört. Das Grau des Himmels über dem Garten löste sich nur zögerlich auf und wurde zu einem dumpfen Blau. Sundance lehnte mit dem Rücken an einem Sessel, sein Hintern schmerzte, der Teppich unter ihm war hart wie Beton. Sundance hatte das Gefühl, sein Rückgrat wäre vollkommen verbogen.
Und dann war da ein Schatten.
Sundance rieb sich den Schlaf aus den Augen und kniff sie ein paarmal zu, um besser zu sehen. Der Schatten lag auf dem Rasen. Wie ein Erdhügel oder ein Tier, das nicht entdeckt werden wollte.
Sundance trat durch die Verandatür nach draußen. Das Gras war naß vom Morgentau. Butch sah aus wie eine geballte Faust. Er hatte den Kopf auf den Knien, die Beine waren angezogen, die Arme drum herum gelegt. Sundance hörte ihn atmen. Schwer und hastig. Er legte ihm die Hand auf den Rücken. Sofort begann Butch zu zittern.
– Sie sind weg, sagte Sundance.
Langsam, nur langsam löste sich Butch aus seiner verkrampften Haltung. Sein Gesicht glänzte von Tränen, das Haar war naßgeschwitzt. Ein Vogel lärmte auf die Jungen herunter. Ein neuer Tag war angebrochen. Sundance half Butch auf die Beine. Er stützte ihn, während sie durchs Haus und die Treppe hochgingen. Butch wollte nicht in sein Zimmer, er wollte ins Bad. Sundance führte ihn ins Bad, wo Butch sich einschloß. Sun dance stand vor der Tür und hörte, wie die Dusche ansprang. Er wußte nicht, was er tun sollte. Er wartete fünf Minuten, das Prasseln der Dusche hörte nicht auf. Sundance wartete weitere fünf Minuten. Er dachte an den Vogel, der auf sie herabgelärmt hatte. Er wünschte sich, er hätte einen Stein nach ihm geworfen.
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