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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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die nachfolgenden dick und schwer. Es ist Ende Februar, und zum ersten Mal fällt Schnee in diesem Winter. Tamara schaut eine Weile in den Himmel, da ist ein Lächeln, da sind auch ein paar Tränen, dann schließt sie die Tür und geht in die Küche, wo Wolf sie erwartet.
    – Schneit es etwa? sagt er und streicht Tamara über die Haare.
    – Es fängt gerade an.
    Wolf reicht ihr seinen Teebecher. Sie stehen nebeneinander am Fenster, als gebe es keinen anderen Platz in der Küche. Sie schauen auf den fallenden Schnee und den verwüsteten Garten. Ihre Arme berühren sich. Tamara nippt vom Tee und reicht den Becher an Wolf zurück. Noch können sie beide nicht wütend sein, weil sie es noch nicht richtig fassen können, was Frauke ihnen angetan hat.
    – Ihr seid das nicht gewesen, stellt Tamara fest.
    – Wir waren es nicht, versichert ihr Wolf.
    Tamara legt den Kopf an seine Schulter. Sie denkt an die Belzens und wie früh das Pärchen morgens immer wach wird. Vielleicht haben sie was gesehen. Vielleicht haben sie von der anderen Seite aus gesehen, wer die Leiche ausgegraben hat. Sie behält ihre Gedanken für sich, denn wenn sie ganz ehrlich ist, dann will sie nicht mehr wissen, wer das getan hat.
    – Kris wird durchdrehen, sagt Wolf.
    Im oberen Stockwerk klingelt eines der Telefone. Sie rühren sich nicht, sie wollen sich noch nicht trennen. Der Schnee bedeckt die aufgewühlte Erde, die bis vor kurzem noch ein Grab gewesen ist. Sie stehen am Fenster, bis alle Spuren unter dem Weiß verschwunden sind.
    – Was ist das nur für ein kranker Typ, der sich eine Leiche holt und Lilien zurückläßt? sagt Wolf.
    Tamara reagiert nicht. Sie ist mit ihren Gedanken ganz woanders und fragt sich, wie sie sich verhalten wird, wenn sie Frauke das nächste Mal wiedersieht. Wird sie sich einfach entschuldigen, und alles wird sein wie vorher? Auch wenn Tamara es sich wünscht, glaubt sie nicht daran.

DER MANN, DER NICHT DA WAR
    Er versteht nicht, was geschieht. Es fühlt sich an, als würde die Zeit im falschen Tempo voranschreiten. Der Rhythmus ist unberechenbar, und die Pausen wirken falsch gesetzt. Er gerät immer wieder aus dem Takt und hinkt hinterher, ungeschickt und unsicher. Er hat geahnt, daß es eines Tages so kommen würde. Wer sein Leben nicht im Griff hat, dem entgleitet alles, und der bleibt mit leeren Händen zurück.
     
    Er weiß nicht, wer sie sind. Er weiß nicht, wo er ansetzen soll. Dabei ist das einmal sein Talent gewesen. Er konnte bei jedem Menschen die Schwachpunkte aufdecken und sich zunutze machen. Was ihm davon geblieben ist, weiß er nicht. Es ist so lange her. Er weiß nur, daß er so schnell wie möglich aus dieser Starre erwachen muß. Wie jemand, der sich mitten in der Nacht im Bett aufsetzt und froh ist, daß der Traum nur ein Traum war und er wieder der Realität angehört.
     
    Er wartet über zwei Stunden darauf, daß sie das Mietshaus verlassen. Er fährt hinter ihnen her. Aus Berlin raus und auf die Autobahn. Als sie in einen Waldweg einbiegen, schaltet er seine Scheinwerfer aus und folgt ihren Rücklichtern. Er sieht, wie die zwei Männer ein Grab ausheben, während die Frau mit einer Taschenlampe leuchtet. Dann bricht ein Streit aus, und die Frau schlägt einen der Männer nieder. Er versteht nichts mehr. Fünf Minuten später fahren die drei davon, ohne die Leiche in das Grab gelegt zu haben. Er folgt ihnen.
    Und da ist er jetzt und beobachtet das verschlossene Tor des Grundstücks. Kurz nach Mitternacht verlassen ein Mann und eine Frau die Villa. Er hat die beiden noch nie gesehen. Der Mannverabschiedet sich und fährt davon, die Frau kehrt in die Villa zurück.
    Wie viele sind das noch? fragt er sich und wartet weiter. Als ihm kalt wird, erkundet er die Gegend und läuft durch die Seitenstraßen. Es ist wichtig, mit der Umgebung vertraut zu sein. Er hat sich die Straßen auf dem Stadtplan angesehen. Es stört ihn, daß er das Grundstück nicht besser kennenlernen kann. Während er sich die Gegend ansieht, kommt er langsam, ganz langsam seinem Element näher. Jagdinstinkt. Es ist so lange her. Es peinigt ihn, sich wie ein Amateur zu fühlen.
    Er findet sehr schnell heraus, daß er zu Fuß nichts erreichen kann. Er steigt in seinen Wagen und fährt über die Bismarckstraße zurück zur Königstraße. Er parkt auf der anderen Seite des Kleinen Wannsees und macht sich an die Arbeit.
     
    Seine erste Wahl ist falsch. Er weiß es, kaum daß er an der Tür geklingelt hat. Es ist fast

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